Neues Buch lässt lesbische Spitzensportlerinnen zu Wort kommen
Das Wichtigste in Kürze
- Das Buch «Vorbild und Vorurteil» lässt lesbische Spitzensportlerinnen zu Wort kommen.
- Die Sportlerinnen sind zum Teil noch aktiv, so zum Beispiel Fussballerin Ramona Bachmann.
Das Coming-out des Schwingers Curdin Orlik Anfang März war eine Premiere. Nie zuvor hatte sich ein aktiver Spitzensportler aus einer populären Sportart öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt.
Das Thema bleibt präsent. Nun geht es aber um lesbische Athletinnen. Das neue Buch «Vorbild und Vorurteil» thematisiert frauenliebende Frauen im Spitzensport.
Rund zwei Dutzend ehemalige oder noch aktive Spitzensportlerinnen erzählen ihre Lebensgeschichte. Unter Berücksichtigung ihrer Sexualität.
Fünf Autorinnen – ein Werk
Fünf Autorinnen haben das Werk in rund dreijähriger Arbeit realisiert. Eine unter ihnen ist Marianne Meier. Sie ist Historikerin und Sportpädagogin und arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern.
Nau.ch: Wie sichtbar sind lesbische Frauen im Schweizer Spitzensport?
Marianne Meier: Dass es sie gibt und schon immer gab, ist keine Frage. Sie wären daher schon sichtbar. Aber sie werden von den Medien und Sponsoren nicht in ihrer ganzen Lebensrealität gezeigt.
Emotionen gehören zum Sport. Sowohl Partnerinnen von Athleten als auch Partner der Athletinnen werden oft mitfiebernd eingeblendet. Ich kann mich aber an keine Schweizer Sportübertragung erinnern, in der ein gleichgeschlechtliches Paar mit derselben Selbstverständlichkeit gezeigt worden wäre.
«Frauen-WM hat etwas verändert»
Nau.ch: Hat sich diese Sichtbarkeit in den letzten Jahren verändert?
Marianne Meier: Ja, vor allem im Fussball. Letztes Jahr an der Frauen-WM stand mit Megan Rapinoe erstmals eine offen lesbische Spielerin im Mittelpunkt der internationalen Berichterstattung. Im Anschluss an gewonnene Matches wurden die Küsse von US-Spielerinnen, die ihren Partnerinnen im Publikum galten, von den Kameras eingefangen.
Genauso wie es bei jubelnden Männern auch gemacht wird, die ihre Ehefrauen oder Freundinnen herzen. In der Schweiz hat das Liebespaar im Nati-Team, Ramona Bachmann und Alisha Lehmann, viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Existenz lesbischer Athletinnen wird sichtbarer.
Nau.ch: Man gewinnt den Eindruck, dass es lesbische Spitzensportlerinnen einfacher haben als schwule Spitzensportler. Täuscht das?
Marianne Meier: Nein, es ist tatsächlich so, dass ein männliches Coming-out im Sport ein noch viel grösseres Tabu darstellt. Ein schwuler Athlet widerspricht den immer noch gängigen Klischees: Demnach wird Schwulsein mit Sanftheit, Passivität und Schwäche assoziiert.
Von einem sportlich erfolgreichen Mann wird hingegen Stärke, Aktivität und Mut erwartet. Vor allem in populären, körperbetonten Sportarten, die als «typisch männlich» eingestuft werden, scheinen schwule Athleten unmöglich vorzukommen. Zum Beispiel im Eishockey oder Schwingen. Curdin Orlik hat die Gesellschaft eines Besseren belehrt.
Nau.ch: Welche Rolle spielt die Sexualität für die Bildung von Vorbildern?
Marianne Meier: Grundsätzlich keine. Aus der Forschung ist aber bekannt, dass zwei Faktoren für die potenzielle Beeinflussung von Vorbildern wichtig sind: Relevanz und Erreichbarkeit.
Je mehr ein Vorbild mit mir und meiner Realität zu tun hat, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass mich dieses Vorbild anspricht. Besonders für junge Menschen ist es bedeutend, eine ganze Palette von möglichen Lebensentwürfen zu haben. Um sich so zu entfalten, wie sie möchten.
Das Zelebrieren von eng gefassten Geschlechterrollen in der Sportwelt schränkt diese Entfaltung ein. Und legt indirekt Normen fest, wie «Mann und Frau» zu sein und zu leben haben.
«Ein Vorbild muss authentisch sein»
Nau.ch: Ist es für die Bildung von Vorbildern wichtig, ob Spitzensportlerinnen zu ihrer Sexualität stehen?
Marianne Meier: Ein Vorbild ist nur dann wirklich relevant, wenn es authentisch ist. Wenn eine lesbische Athletin beispielsweise ihre Lebenspartnerin verleugnet, signalisiert sie dadurch, dass dies etwas Schlechtes sein muss.
Diese Botschaften dringen auch dann durch, wenn sie nicht explizit ausgesprochen oder deklariert werden. Und auch dieses Verhalten wird registriert und eventuell nachgeahmt.
Wenn also eine bekannte Top-Athletin, die auf Frauen steht, einen Einblick in ihr Privatleben gewährt, trägt das auch dazu bei, Vielfalt zu zeigen. Weil es sein darf, wird es einfach immer «normaler».
«Einer Fussballerin wird das «echte Frausein» abgesprochen»
Nau.ch: Haben es lesbische Frauen in typisch männlichen Sportarten, wie beispielsweise Fussball oder Boxen, schwieriger?
Marianne Meier: Nein, ich denke, dass es eher umgekehrt ist. In Sportarten, die eher als «typisch männlich» gelten, überrascht es viele nicht, dass Athletinnen lesbisch sind. Dort werden sie geradezu erwartet, da dies viele Vorurteile bestätigt.
Einer Fussballerin oder Boxerin wird eine gewisse Aggressivität, Stärke und Durchsetzungsvermögen zugeschrieben, womit ihr das «echte Frausein» gleichzeitig abgesprochen wird.
Demnach haben es lesbische Sportlerinnen eher in «typisch weiblichen» Sportarten schwieriger. Tänzerinnen oder Eiskunstläuferinnen, die Frauen lieben, rufen generell grösseres Erstaunen hervor.
Nau.ch: Inwiefern wird der Spitzensport immer noch von einem patriarchalen Weltbild dominiert?
Marianne Meier: Nach wie vor sind die einflussreichsten Posten der grössten Sportverbände auf nationaler oder internationaler Ebene mehrheitlich von Männern besetzt. Oftmals bleiben diese Funktionäre jahrzehntelang in ihren Positionen und zementieren ihr heteronormatives Weltbild.
«Primär berichten Männer für Männer über Männer»
So wurde etwa der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vom Internationalen Olympischen Komitee erst 2014 auf Druck der Zivilgesellschaft in die «Olympische Charta» aufgenommen.
Diese patriarchalen Strukturen spiegeln sich übrigens auch in den Sportmedien wieder. Dort wird immer noch primär von Männern über Männer für Männer berichtet.
Nau.ch: Ist der Schweizer Spitzensport lesbenfeindlich?
Marianne Meier: Jein. Im Sport per se nicht unbedingt. Aber der Spitzensport gehört zu einem Machtdreieck. Die anderen beiden Eckpunkte sind die Medien und die Wirtschaft.
Da oftmals die Meinung vorherrscht, dass sich lesbische und schwule Sportstars schlecht vermarkten liessen, spielen weder Medien noch Wirtschaft mit. Diesbezüglich kann schon von Homophobie in der Welt des Spitzensports gesprochen werden.