Oberste Lehrerin will keinen Algorithmus für Schul-Einteilung
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Algorithmus soll für Chancengleichheit in Schweizer Schulen sorgen.
- Die oberste Lehrerin, Dagmar Rösler, steht der Idee skeptisch gegenüber.
- Trotzdem sei das Thema Schuleinteilung sehr aktuell.
Nirgendwo auf der Welt ist die Zusammensetzung von Schulhäusern so entscheidend für die individuellen Leistung von Schülern wie in der Schweiz. Je «besser» die Wohngegend, desto besser die durchschnittlichen schulischen Leistungen.
Das geht aus der neusten Pisa-Studie hervor. Ein Algorithmus soll darum jetzt die Einteilung der Schüler übernehmen und für mehr sozial durchmischte Klassen sorgen.
Schweizer wollen Chancengleichheit - aber nicht für die eigenen Kinder
Da Kinder meist eine Schule in ihrem Wohnquartier besuchen, widerspiegelt die Zusammensetzung von Klassen normalerweise diejenige des Quartiers. In Schulhäusern privilegierter Quartiere beträgt der Anteil von Kindern aus fremdsprachigen oder sozial benachteiligten Elternhäusern nur rund 20 Prozent.
In anderen Wohngegenden kann deren Anteil bis zu 75 Prozent ausmachen. Nachweislich schliessen Schüler aus solchen «Ghetto-Schulen» dann bei Vergleichstest auch deutlich schlechter ab.
Um dieses Ungleichgewicht zu bekämpfen, müsste die Einteilung der Kinder stärker gesteuert werden. Denn gerade privilegierte Eltern betreiben zusätzlich oft grossen Aufwand, um ihre Sprösslinge an eine «gute» Schule zu schicken. Dies führt zu einem Teufelskreis, der die Chancengleichheit des Schweizer Bildungssystems ins Wanken bringt.
Ein Forschungsteam des Zentrums für Demokratie in Aarau will darum einen eigens entwickelten Algorithmus die Einteilung übernehmen lassen. Für Entwickler Oliver Dlabac könnten so endlich faire Voraussetzungen für alle Kinder geschaffen werden. Sein Projekt wurde in der «Sonntagszeitung» vorgestellt.
Oberste Lehrerin glaubt an menschliche Entscheide
Die oberste Schweizer Lehrerin, Dagmar Rösler, ist aber skeptisch. «Es kann gut sein, dass ein Schulzuweisungs-Algorithmus in einem ersten Schritt für Schulen und deren Planung hilfreich sein kann. Schliesslich muss aber immer ein menschlicher Entscheid ausschlaggebend sein», sagt sie auf Anfrage von Nau.
Rösler ist trotz der Pisa-Studie überzeugt, «dass die Bildung und die Entwicklung in einer sozial durchmischten Schule nicht schlechter ist als in einer Schule mit vorwiegend Schweizer Kindern». Für sie gibt es im Bereich Chancengerechtigkeit noch viel zu tun. «Integration kann ja nur erfolgreich sein, wenn möglichst alle mitmachen.»
Schule soll Zusammenhalt schaffen
Das Thema sei deshalb durchaus aktuell. «Wir befassen uns fast täglich mit Chancengerechtigkeit und fordern deshalb auch das Vorantreiben von früher Förderung und Tagesstrukturen. Der Zweck der Volksschule ist nicht nur die individuelle Grundbildung sicherzustellen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer demokratischen Gesellschaft zu leisten», so Rösler.
Die Volksschule ermögliche eine Begegnung von Schülerinnen und Schülern aus allen sozialen Schichten und verschiedenen Kulturen.
Verständnis für Eltern
So werde eine gemeinsame Basis für den späteren Dialog einer aktiv gelebten Demokratie gelegt. Dass Eltern ihre Kinder diesem Prozess oft zu entziehen versuchen, beobachtet Rösler schon länger, kann es aber verstehen. «Es ist nachvollziehbar und natürlich, dass Eltern das Bestmögliche für ihr Kind wollen. Es geht hier aber um eine Abwägung individueller Wünsche von den Interessen der ganzen Gesellschaft.»