Schweizer Ärzte müssen häufig mehr als 50 Stunden schuften
In Schweizer Spitälern leiden Ärzte zunehmend an Erschöpfung. Eine Befragung zeigt: Viele arbeiten mehr als 50 Stunden pro Woche. Für Patienten eine Gefahr.
Das Wichtigste in Kürze
- Junge Spitalärztinnen und -ärzte leiden zunehmend an Erschöpfung.
- Wie eine neue Befragung zeigt, arbeiten viele von ihnen mehr als 50 Stunden pro Woche.
- Dies stellt auch eine Gefahr für die Patientensicherheit dar.
Junge Spitalärztinnen und -ärzte laufen am Limit: Einer aktuellen Umfrage zufolge, fühlt sich fast die Hälfte von ihnen ausgelaugt und körperlich sowie emotional erschöpft.
Diese Übermüdung kommt nicht von ungefähr: Die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Schnitt über 50 Stunden pro Woche – mehr als gesetzlich erlaubt ist. Zu diesen Ergebnissen kommt die jüngste Befragung des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO), wie der «Tagesanzeiger» berichtet. Daran nahmen 3240 Mitglieder teil.
Im Vergleich zur letzten Befragung im Jahr 2020 würden noch mehr Oberärztinnen und Assistenzärzte in einem Teilzeitpensum arbeiten. Allerdings werde die vereinbarte Arbeitszeit bei zwei Drittel der Umfrage-Teilnehmenden nicht eingehalten. Dies verstösst gegen das Arbeitsgesetz.
Viele würden mit dem Gedanken spielen, dem Beruf den Rücken zu kehren. In der Befragung gaben 52 Prozent der Teilnehmenden an, ab und zu ans Aufhören zu denken. Vor drei Jahren waren es noch 39 Prozent gewesen. Von denjenigen, die wöchentlich mehr als 60 Stunden arbeiten, gaben 77 Prozent an: «Ich kann nicht mehr.»
Dazu trage insbesondere auch die administrative Arbeit bei: «Für viele ist vor allem die Belastung durch administrative Arbeit ermüdend und frustrierend» sagt Anna Wang, Präsidentin des VSAO Zürich, gegenüber dem «Tagesanzeiger».
«Denn sie haben den Beruf gewählt, um Patientinnen und Patienten zu betreuen.» Oftmals seien es die Assistenzärztinnen und -ärzte, welche die Administrativarbeit übernehmen müssten.
Patientensicherheit gefährdet
Die Arbeitsüberlastung hat nicht nur Folgen für das Personal, sondern auch für Patientinnen und Patienten. «Die Rückmeldung zahlreicher junger Ärztinnen und Ärzte deuten auf eigentliche Burnout-Symptome hin», sagt Angelo Barrile, VSAO-Präsident und SP-Nationalrat, gegenüber der Zeitung. Dies gefährde die Patientensicherheit.
Fast 60 Prozent der jungen Ärztinnen und Ärzte hätten in den vergangenen zwei Jahren erlebt, dass mindestens eine Patientin oder ein Patient deshalb gefährdet wurde. Dies stelle den höchsten Wert seit Beginn der VSAO-Befragungen vor neun Jahren dar.
Die wenigsten Behandlungsfehler hätten gleich tödliche Folgen. Aber: «Je mehr es zu gefährlichen Situationen kommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Patient oder eine Patientin auch einmal schwerwiegende Schäden erleidet», so Barrile. Er fordert deshalb die Politik auf, nach Lösungen zu suchen, um den Kostendruck auf die Spitäler zu reduzieren. Zudem sollen die kantonalen Arbeitsinspektorate die Spitäler konsequent auf die Einhaltung des Arbeitsgesetzes kontrollieren.
Abbau der Büroarbeit gefordert
Dieses würde «grundsätzlich» eingehalten, heisst es beim Spitalverband H+ auf Anfrage des «Tagesanzeigers». «Verletzt ein Betrieb das Arbeitsgesetz, so hat dies Sanktionen zur Folge», so Direktorin Anne Bütikofer. Allerdings sei eine 42-Stunden-Woche bei einer akademischen Weiterbildungsstelle nicht umsetzbar. «Ein Spital ist ein 24-Stunden-Betrieb, und wenn Patientinnen und Patienten Hilfe brauchen, kann man, zumindest im Notfall, nicht planen.»
Auch Bütikofer sieht die administrative Arbeit als Hauptgrund für die hohe Belastung. Schuld daran seien politische Vorgaben sowie Forderungen der Krankenkassen. «Die Politik muss dafür sorgen, dass die Ärzteschaft von der Büroarbeit entlastet wird», sagt sie. «Wir müssen aus diesem Administrationswahn rauskommen.»
Der VSAO plant Anfang Juni nun einen runden Tisch mit Spitälern, Bund, Kantonen und Kassen. Dabei sollen Lösungen für bessere Arbeitsbedingungen gesucht und organisiert werden.