Schweizer wuchs in Sekte auf – und packt jetzt aus
Seine Kindheit in der US-Sekte «Children of God» war von Gewalt und Missbrauch geprägt. Nun tritt Philip Seibel in die Öffentlichkeit und fordert Gerechtigkeit.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Sekte «Children of God» stand sexueller Missbrauch an Kindern an der Tagesordnung.
- Philip Seibel zählte zu ihren Opfern in der Schweiz.
- Der 42-Jährige bricht nun sein Schweigen und fordert Gerechtigkeit.
Philip Seibel wurde 1980 in den Niederlanden in die «Children of God» («Kinder Gottes» hineingeboren. Seine Kindheit in der vermeintlich harmlosen Hippiegruppe wurde durch Gewalt und Missbrauch geprägt. Nun tritt er mit seinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit – und fordert Gerechtigkeit.
Die «Children of God» wurden 1968 von David Berg in Kalifornien gegründet. Die meisten Mitglieder fand sie ursprünglich in der Hippieszene. Sie wuchs schnell und breitete sich in anderen Ländern aus – auch in der Schweiz.
«Als ich noch sehr klein war, hatte der Prophet Moses David gesagt, man sollte Liebe mit seinen Kindern machen», erzählt der 42-Jährige in der SRF-Sendung «10vor10». «Denn Liebe soll frei sein. Kinder sollen von klein auf lernen, Liebe zu schenken und auch zu empfangen. Das bedeutete natürlich sexuelle Liebe.»
Deshalb hätte David Berg seine eigenen Kinder und Enkelkinder vergewaltigt, misshandelt und penetriert. «Mir ist das auch passiert», sagt Seibel.
Göttlicher Auftrag
Eine Schule besuchen durften die Kinder nicht. Die Mitglieder verdienten ihr Geld mit Betteln. Sektenführer Berg propagierte freie Liebe, was zur damaligen Zeit auch in der Gesellschaft ein Thema war. Sexuelle Handlungen sah er als Form der Nächstenliebe, quasi einem göttlichen Auftrag.
Für Georg Otto Schmid sind die «Children of God» die mit Abstand schlimmste Sekte hier. «Keine andere Gemeinschaft, die in der Schweiz aktiv ist, ging mit ihren Mitgliedern so schlimm um wie die ‹Children of God›», sagt der Sektenexperte von Relinfo, der Evangelischen Informationsstelle für Kirchen, Sekten und Religionen, gegenüber SRF.
Die Sekte hätte «verschiedene furchtbare Praktiken» durchgeführt. «Es galt das Prinzip vom Sharing, wonach alle mit allen Sex haben mussten – egal, ob sie wollten oder nicht», so Schmid weiter.
Zudem wurde das «Flirty Fishing» eingeführt. Dabei wurde versucht, durch Sex Aussenstehende anzuwerben. Später wurde die Gemeinschaft durch Prostitution finanziert. «Dann kam der Gründer David Berg darauf, dass nicht nur Erwachsene Sex haben sollten, sondern auch Teenager und Kinder», so der Experte weiter. «Dies führte zu furchtbarem und beispiellosem Kindesmissbrauch.»
Täter noch immer auf freiem Fuss
In den 1990er Jahren kam es in vielen Ländern zu Razzien gegen die Sekte, 1994 starb ihr Führer. Im Jahr 2010 wurden die Wohngemeinschaften der Mitglieder offiziell aufgelöst. Mehr passierte aber nicht – bis heute sind zahlreiche Täter auf freiem Fuss.
Seibel versuchte deshalb, seinen deutschen Stiefvater in der Schweiz und in Deutschland anzuzeigen. «Beide sind aber beide wegen der Verjährung abgeschmettert worden. Deshalb bin ich Aktivist geworden. Es kann nicht sein, dass solche Sadisten und Vergewaltiger auf freiem Fuss leben, nur weil die Kinder, die misshandelt wurden, jahrelang zu traumatisiert sind, um sich damit auseinanderzusetzen, was ihnen angetan worden ist.»