Sprayer Harald Naegeli in eigenen Worten

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Bern,

Harald Naegeli – bekannt als «Sprayer von Zürich». Ein neues Buch vereint seine Texte, Schlüsselwerke und Interviews von 1979 bis 2022.

Harald Naegeli
Harald Naegeli prägte die Graffiti Szene. (Archivbild) - keystone

Bekannt ist er als «Sprayer von Zürich». Doch Harald Naegeli ist auch Zeichner, Poet und Pamphletist. Ein neues Buch vereint seine Texte mit Schlüsselwerken und Interviews von 1979 bis 2022. Naegeli, preisgekrönt und strafverfolgt gleichermassen, ist aber noch nicht fertig.

Seit Harald Naegeli 2020 in die Schweiz zurückgekehrt ist, tauchen seine schwarz gesprayten Strichfiguren wieder auf an Zürichs Fassaden. Sie linsen um Hausecken, tanzen in Tiefgaragen, stellen Leuten auf blitzblanken Trottoirs den Fuss. Seinen Strich nämlich führt Naegeli von der Wand über den Boden oder die Decke weiter. Das war schon immer so.

An Ecken und Kanten wächst er – und gerne darüber hinaus. Entsprechend ufert auch der Titel des neuen Buches aus zum Versuch, den Unfassbaren mit einem Zitat dingfest zu machen: «Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock! Der Sprayer von Zürich, Texte und Gespräche 1979 – 2022».

Künstler wird 85 Jahre alt

Im Dezember wird der Künstler 85 Jahre alt. An seiner Haltung hat sich in all den Schaffensjahren kaum etwas geändert, wie das illlustrierte Textbuch an seinen eigenen Aussagen aufzeigt.

«angesichts der korruption politischer vorgänge bleibt nur noch die besinnung auf die kunst, aber kunst nicht oder nicht mehr wie bisher als meditationsgegenstand, als flucht vor der wirklichkeit in eine 'schönere welt', sondern als waffe», schrieb Harald Naegeli 1979 in «mein sprayen. mein revoltieren».

Und 2022, von Journalisten der «NZZ am Sonntag» gefragt, ob er angesichts des Kunstpreises, den ihm Zürich nach seiner Rückkehr verliehen habe, versöhnt sei mit der Heimatstadt, antwortete er: «Nein, da ist keine Versöhnung. Die braucht es nicht, sondern Opposition. Die Verschandelung durch Architektur ist ein Verbrechen, mit dem man sich nicht versöhnen sollte.»

Über 30 Jahre in Deutschland im «Exil»

Die Unwirtlichkeit der Städte, das Zubetonieren natürlicher Lebensräume, die Missachtung von Tieren und Pflanzen waren und sind es, die Naegeli mit der Spraydose anprangert. Kurz vor der Verleihung des Zürcher Kunstpreises 2020 sind wieder Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung gegen ihn eingegangen. Dies erinnert ans Jahr 1979, als Harald Naegeli nach dem Sprayen von rund 1500 Strichfiguren in Zürich erstmals erwischt und festgenommen wurde. Es lagen weit über hundert Anzeigen gegen ihn vor.

1981 durchs Obergericht des Kantons Zürich zu neun Monaten Haft sowie Schadensersatzzahlungen verurteilt, floh er via Italien und Frankreich nach Deutschland. 1983 wurde er dort festgenommen, obwohl die deutsche Kunstszene – allen voran Joseph Beuys – sich vehement für ihn einsetzte. Wohl auch deshalb ging Naegeli nach Verbüssung seiner Haftstrafe wieder nach Deutschland und blieb dort über dreissig Jahre im «Exil».

Veränderte Realitäten

Ist Harald Naegeli nun ein alter Mann, der mit dem Wandel nicht mehr Schritt halten kann, oder ein Künstler, der konsequent seinen Weg geht? In gewissem Sinn wohl beides. Während seines «Exils» hat sich Zürich wie viele Städte in der Schweiz und anderswo stark verändert – nicht zuletzt dank der Opposition von ihm Gleichgesinnten.

Street Art und Graffiti sind zwar noch immer illegal, doch als stilbildende Genres anerkannt und teilweise von der öffentlichen Hand gefördert. Das Stadtbild ist heute bunter und lebendiger als während der Bauboom-Tristesse der 1970er und den Folgejahren. Zudem reagieren Städte inzwischen aktiv auf den Klimawandel und werden immer grüner. Auf diese veränderten Realitäten reagiert Naegeli nicht – zumindest nicht in den kritisch geführten Interviews im Buch und in seiner neuen, unveränderten Kunst im urbanen Raum.

Werke aus den über Jahrzehnte gefüllten Skizzenbüchern

Interessanter ist sein anderes, kaum bekanntes zeichnerisches Werk. In diesem Zusammenhang stellen die Herausgeber des neuen Buches, Urs Bühler (NZZ-Journalist) und Anna-Barbara Neumann (Geschäftsführerin der Naegeli-Stiftung), dem extrovertierten Sprayer den introvertierten Poeten gegenüber.

Sie zeigen exemplarische Werke aus den über Jahrzehnte gefüllten Skizzenbüchern und Teile der «Urwolke»-Blätter, denen der Künstler bis heute immer wieder einen feinen, stillen Strich hinzufügt. Wie die plakativen Strichfiguren aus diesem ungleich vielschichteren, poetischen Untergrund herausgewachsen sind, wird im Buch anhand von Text und Bild nachvollziehbar. Ein Aha-Erlebnis, das dazu anregt, noch einmal neu über Harald Naegeli nachzudenken.*

*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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