Stadt Bern ruft auf: «Bettlern aus Osteuropa kein Geld geben»
Die Stadt Bern warnt: Bettlern aus Osteuropa sollte man kein Geld geben, sie seien Teil oder Opfer von Banden. Hilfswerke sind entsetzt. Das sei rassistisch.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Stadt Bern warnt vor organisierten Bettlerbanden und davor, ihnen Geld zu geben.
- Ein Berner Hilfswerk kritisiert die Warnung und bezeichnet sie als rassistisch.
- Alexander Ott, Leiter der Fremdenpolizei, bleibt dabei: Es gebe organisiertes Betteln.
Vor Weihnachten betteln viele Menschen, auch in der Berner Innenstadt. Auffällig viele von ihnen kämen aus Osteuropa, sagt die Berner Sicherheitsdirektion und warnt: «Vorsicht vor organisierten Bettelbanden.»
Die meisten Bettlerinnen und Bettler seien nämlich Angehörige oder Opfer von organisierten Bettelbanden, so die Berner Behörden. Sie würden «von hierarchisch straff organisierten Banden in die Schweiz geschleust». Um gegen diese Art von Menschenhandel vorzugehen, sei es erst einmal wichtig, diesen kein Geld zu geben.
Die Warnung der Stadt Bern stösst auf Kritik: Hilfswerke wie «Gassenarbeit Bern» halten den Vorwurf von organisierten Banden für haltlos.
Wissenschaftliche Untersuchungen und Recherchen von Medien hätten ergeben, dass dies nicht nachweisbar sei. Vielmehr handle es sich um Grossfamilien, die einander helfen, ist sich die Hilfsorganisation sicher.
Zum Beispiel forscht Zsolt Temesvary von der FHNW dazu:
— Gassenarbeit Bern (@gassenarbeitBE) December 14, 2022
«Früher haben vor allem organisierte Roma-Gruppen aus Rumänien gebettelt, heute sind es einzelne Menschen aus vielen Ländern Osteuropas.»https://t.co/UZpd1ZZuWX
«Es sind genügend Fälle bekannt»
Der Leiter der Fremdenpolizei, Alexander Ott, lässt das nicht unbeantwortet stehen. Er und seine Abteilung beschäftigten sich «schon jahrelang mit dem Phänomen der organisierten Bettelei», sagt Ott zu Nau.ch.
Das Phänomen werde mit dem Fedpol und dem Städteverband untersucht: «Des Weiteren sind genügend Fälle bekannt, wo netzwerkähnliche Clanstrukturen im Bereich der organisierten Bettelei aufgedeckt wurden.»
In der Stadt Bern habe die Fremdenpolizei bei Sachverhaltsabklärungen festgestellt, dass «Clanmitglieder» sich damit beschäftigten, Geld bei bettelnden Personen abzuschöpfen.
«Etliche dieser Personen sind mehrfach im Umfeld von Strukturkriminalität polizeilich europaweit verzeichnet», so Alexander Ott. «Oftmals sind diese Personen Opfer ihrer ‹Chefs›, stehen in Abhängigkeit und werden ausgebeutet.»
Dieses Phänomen der Schuldknechtschaft sei weitläufig dokumentiert: «Die Bettelei ist somit nicht nur inszeniert, sondern straff organisiert und hierarchisiert.»
Auf die Art und Weise des Betteln ist zu schauen
Die «Gassenarbeit Bern» und andere Menschen bezeichneten die Warnung der Berner Behörden auf Twitter als rassistisch: «Wie soll die Bevölkerung erkennen, welche Bettler der hier beschriebenen Gruppe entsprechen?» Mit anderen Worten: Sollten Berner den Bettlern kein Geld mehr geben, nur weil sie rumänisch oder bulgarisch aussehen?
Alexander Ott streitet auch das ab. «Die Anmerkung ‹rassistisch› in diesem Kontext erscheint mir sehr unreflektiert», sagt der langjährige Leiter der Fremdenpolizei. Das Betteln habe keinen Zusammenhang mit Ethnie oder Nationalität, sondern sei eine Reaktion auf «gesellschaftlichen Strukturwandel».
Gemeint seien Personen, die einen spezifischen Bettelstil hätten: «Das Zurschaustellen und das Entblössen körperlicher Beeinträchtigungen» etwa. Oder auch, wenn aufdringlich körperlicher Kontakt gesucht werde und mit einer improvisierten Gehhilfe aufgetreten werde. «Diese Art und Weise der Deprivation sind typisch für Personen, welche gezielt zum Betteln eingesetzt werden und hierarchisch vernetzt sind.»