Statt Furcht vor Defiziten ein Staatsfonds mit Profiten
Die Schuldenbremse bremst im aktuellen Tiefzinsumfeld die Bundesfinanzen aus. Und der Schuldenabbau ist ein teure Strategie.
Die SP hat eine Studie erstellen lassen, wie die Eidgenossenschaft mit ihren Schulden gewinnbringender wirtschaften könnte. Die Staatsfinanzen der Schweiz mit seit Jahren ausbleibenden Defiziten und auf tiefem Niveau sinkender Verschuldung wecken den Neid so mancher Finanzminister. Das ist zwar einer hohen Verschuldung vorzuziehen.
Es kann aber auch sein, dass die Staatsverschuldung zu tief ist. Dies ist derzeit in der Schweiz der Fall, wie die im Auftrag der SP verfasste Studie des Genfer Wirtschaftsprofessors Cédric Tille aus. Die Partei stellte sie am Donnerstag in Bern den Medien vor.
Aktuell liegt die Quote der schweizerischen Staatsverschuldung bei 14,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Noch 2000 waren es rund 26 BIP-Prozent. In der neuen Kennzahl spiegelt sich zum einen der Abbau der Staatsverschuldung und zum anderen das Wirtschaftswachstum.
Stand der Bund 2000 noch mit 128,2 Milliarden Franken in der Kreide, sind es 2019 rund 88,5 Milliarden. In den nächsten fünf Jahren ist eine weitere Schuldentilgung von 15 Milliarden Franken absehbar.
Nun kann der Bund aber zu guten Bedingungen Schulden machen: Gemäss Daten vom Juli 2019 zahlen Anleger für 10-jährige Bundesobligationen 0,65 Prozent Zins. Bei 20-jährige Anleihen sind es 0,28 und bei 50-jährigen 0,15 Prozent.
Investoren betrachten Bundesanleihen also als sicheren Hafen auch in globalen Krisenzeiten und zahlen gern Miete dafür. Dieser Umstand dürfte in der Schweiz und den meisten Industriestaaten noch für Jahre anhalten.
Das deutliche Gefälle zwischen den Zinssätzen für die Bundesanleihen und dem Wirtschaftswachstum legt den Schluss nahe, dass sich die Schweiz eigentlich mehr Schulden und somit Defizite erlauben dürfte, ohne das aktuell tiefe Verhältnis der Staatsschulden zum BIP zu gefährden. Eine Rechnung zeigt, dass ein Defizit von 2,6 Milliarden Franken im Jahr machbar wäre.
Dem steht aber die Schuldenbremse entgegen. Sie wirkt tendenziell in Richtung Überschuss in der Staatsrechnung. Deshalb fordert auch der Internationale Währungsfonds von der Schweiz mehr Flexibilität, ohne die Schuldenbremse in Frage zu stellen. Und auch die SP fordert aufgrund ihrer Studie eine flexiblere Handhabung dieses Mechanismus'.
Die öffentliche Hand könnte ihre Investitionen in Infrastrukturen, Bildung und Forschung aufgrund des Zinsumfelds zu sehr guten Bedingungen finanzieren. Auch wenn der Ertrag dieser Investitionen schwer messbar ist, besteht Bedarf: Die Energieeffizienz etwa muss steigen und die Erwerbsbevölkerung für die Digitalisierung fit werden.
Zudem stellt sich wegen der tiefen Zinsen auf den Bundesanleihen für die SP die Frage nach einem Staatsfonds. Mit der gegenwärtig praktizierten Rückzahlung von Schulden schneidet sich der Bund demnach eigentlich ins eigene Fleisch.
Durch die tiefen Zinsen aus den Bundesobligationen billig kapitalisiert, könnte ein Staatsfonds nämlich in ertragreichere Anlagen investieren. Ein Gefälle zwischen staatlichen und privaten Anleihen besteht bereits. Und der Rückgang der Erträge auf Staatsanleihen ist grösser, als jener im Privatsektor.
In der Studie errechnete Tille einen Gewinn des Staatsfonds zwischen 0,7 und 2 Milliarden Franken im Jahr. Dazu müsste der Fonds mit 10 Prozent des BIP dotiert sein. Der Wissenschaftler zog für die Gewinnberechnung mehrere Alternativen in Betracht und verglich sie mit den Zinskosten des Bundes.
Auch wenn die Forderung nach einem Staatsfonds oft auf die hohe Bilanzsumme der Schweizerischen Nationalbank zielt, müsste der Obligationen-Staatsfonds von der Notenbank unabhängig sein. Wie der Fonds zu gestalten wäre, sei Gegenstand einer späteren Diskussion, hält die SP fest.
Die Partei zieht aus der Studie jedenfalls den Schluss, dass die bürgerliche Sparpolitik mit der Schuldenbremse viel eher einer Verschleuderung von Staatsgeldern gleichkommt, als viel gescholtene linke Forderungen.
Auch die Fähigkeit der Budgetpolitik zur Ankurbelung des kurzfristigen Wachstums liess die SP aufgrund moderner Wirtschaftsstudien untersuchen. Den Erkenntnissen zufolge ist ein staatliches Konjunkturpaket am wirksamsten, wenn es finanzschwächere Haushalte mit einbezieht, etwa durch höhere Arbeitslosengelder oder Transferleistungen. Gerade diese Haushalte nämlich haben einen starken Hang zum Konsum und kurbeln damit die Nachfrage an.
Öffentliche Investitionen begünstigen das Wachstum ebenfalls. Infrastrukturprojekte brauchen aber Zeit. Ihre Wirksamkeit als Konjunkturwerkzeug ist - vom langfristigen Nutzen abgesehen - umstritten.
Die Budgetpolitik ist besonders wirksam, wenn sie die Zentralbank zu Zeiten von Sachzwängen unterstützt, lautet ein weiteres Studienergebnis. Die Geldpolitik der Notenbank kann ihre Wirkung weiter entfalten, auch wenn die Zinssätze auf Null oder ins Negative sinken. Politische Querschüsse wären somit kontraproduktiv.