In der Schweiz will sich über 90 Prozent der Bevölkerung kremieren lassen – ein weltweiter Rekord. Was sind die Beweggründe dafür?
Kremation
Ein Sarg wird in den etwa 700 Grad heissen Ofen zur Kremation gefahren, fotografiert im Krematorium Baden, im März 2019, in Baden. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Über neunzig Prozent der Schweizer Bevölkerung will sich kremieren lassen.
  • Die Beweggründe sind finanziell, organisatorisch oder religiös geprägt, erklären Experten.
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In der Schweiz werden über neunzig Prozent der verstorbenen Menschen kremiert. Diese Zahl ist, ausser in Japan, weltweit nirgendwo grösser. Wieso entscheiden sich so viele Schweizerinnen und Schweizer für Einäscherung statt Erdbestattung?

Experten sind sich einig: Abnehmende Religiosität, Organisation und Geld gehören zu den Hauptgründen.

Wettstein: «Kaum jemand glaubt mehr an einen jüngsten Tag»

Professor Albert Wettstein unterrichtet geriatrische Neurologie an der Universität Zürich. Gegenüber Nau.ch sagt er: «Kaum jemand glaubt mehr an einen jüngsten Tag, an dem die Toten aus ihrem Grab auferstehen. Immer weniger Menschen sind religiös und noch weniger wünschen für sich, als ganzer Leichnam beerdigt zu werden.»

Ausserdem gebe es in vielen christlichen Kirchen «keine Verpflichtung mehr für eine Erdbestattung, im Gegensatz zu früher».

Urne im Boden
Neun von zehn Personen in der Schweiz werden kremiert. Gründe dafür gibt es verschiedene.
Urnen-Gräber
Zum einen kommt das Grab schlichtweg billiger, als ein Einzelreihengrab für einen Sarg.
Gedenkfeier
Zum anderen kann die Gedenkfeier besser geplant werden, da sie nicht unverzüglich nach dem Tod der Person stattfinden muss. (Symbolbild)
Gedenkfeier mit vielen Besucher*innen
So können mehr Menschen daran teilhaben.
Beerdigung in Kirche
Religion spielt auch eine grosse Rolle: Im Gegensatz zu früher ist in vielen christlichen Kirchen eine Erdbestattung auch nicht mehr Pflicht.
Erdbestattung während Covid
Während Corona ist die Anzahl Erdbestattungen beim Aurora-Bestattungsunternehmen aus Bern wieder gestiegen. (Symbolbild)
Traditionelle Schweizer Kleidung
Die Menschen hätten in der Angst vielleicht am Altbewährten festhalten wollen, vermutet Gyan Härri, Sprecher des Unternehmens. (Symbolbild)

Eine Kremation sei auch organisatorisch einfacher handzuhaben: «Die Kremation kann unverzüglich erfolgen und eine Gedenkfeier kann dann zu irgendeinem passenden Zeitpunkt organisiert werden. Das gibt mehr Interessierten die Möglichkeit, sich den Termin dafür freizuhalten.»

Rolf Steinmann vom Bestattungs- und Friedhofsamt Zürich ergänzt, dass eine Kremation mehr und verschiedene Möglichkeiten für eine Bestattung schaffe. Weiter würde das Finanzielle eine zentrale Rolle spielen: «Die Kosten, die zum Beispiel in einem Gemeinschaftsgrab aufkommen, sind wesentlich geringer als in einem Erdreihengrab.»

Erdbestattung aus religiösen Gründen

Ausserdem hätten einige Menschen Mühe mit der Vorstellung, dass ihr Körper bei einer Erdbestattung von Würmern zerfressen werde. Dabei sei das ein Mythos, sagt Gyan Härri vom renommierten Berner Bestattungsunternehmen «Aurora».

Er erklärt: «In zwei Metern Tiefe hat es keine Würmer, der Erddruck ist zu hoch und die Würmer finden keine Nahrung. Natürlich hat es dort Mikroorganismen, welche sich zum Teil auch bereits im Körper befinden. Diese sorgen nebst Pilzen für die Verwesung.»

Möchten Sie lieber beerdigt oder kremiert werden?

Wer eher zu einer Erdbestattung tendiere, sei wahrscheinlich religiös geprägt. Im Judentum, Islam und orthodoxen Christentum gehöre Begrabenwerden zur Tradition. Die Kremation werde teils mit dem Fegefeuer gleichgesetzt, erklärt Härri weiter.

Auch spannend: Während den Corona-Wellen haben sich bei den Aurora-Bestattungsunternehmen etwa doppelt so viele Menschen beerdigen lassen wie die Jahre zuvor. Härri: «Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass sich Menschen in der Angst am Altbewährten festhalten wollen. Dieser Trend hat sich aber wieder auf die normalen Zahlen eingependelt.»

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