Stadt Zürich

Eigenverantwortung? Bullsh*t.

Reda El Arbi
Reda El Arbi

Zürich,

Unser Kolumnist versteht nicht, warum sich Leute jetzt, bei über 3000 Neuinfektionen täglich, in die Brust werfen und «Eigenverantwortung» schreien.

Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi schreibt über Eigenverantwortung in der Coronakrise.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

Es wirkt wie Trotz, oder frustrierte Verzweiflung: Wir hatten am Freitag über 3000 neue Coronafälle, und noch immer, und jetzt sogar lauter, schreien die üblichen Verdächtigen nach «Eigenverantwortung».

Dabei ist schon der Begriff verräterisch: «Eigenverantwortung» bedeutet, dass man für sich selbst Verantwortung übernimmt. Was aber in dieser Pandemie gefragt ist, ist das Verantwortungsbewusstsein für die Anderen, für die Gemeinschaft. Kein Wunder, dass ironischerweise genau diejenigen am lautesten rufen, die gleichzeitig Masken blöd finden und sich anderen Massnahmen gegenüber sperren. Also Leute, die meinen «Ich hab keine Angst vor dem Virus, also muss ich auch nichts tun». Und die gibts quer über alle politischen Parteien.

Sorry, liebe Ignoranten, eure «Eigenverantwortung» ist mir völlig egal. Wenn ihr euch anstecken wollt, wenn ihr eure eigene Gesundheit aufs Spiel setzen wollt, wenn ihr denkt, dass euch das Virus dann schon nicht so schwer erwischt, interessiert mich das einen feuchten Kehricht. Wenn ihr aber Andere, Gefährdete, mit einem Virus ansteckt, von dem ihr vielleicht noch nicht mal wisst, dass ihr es tragt, dann geht mich das sehr wohl etwas an. Da endet eure «Eigenverantwortung» und ihr seid nichts anderes als asoziale Trotzköpfe.

Zudem: Niemand hat in den letzten Wochen den Leuten verboten, Eigenverantwortung zu zeigen. Nur scheint das nicht zu funktionieren, sonst wären wir gar nicht erst an diesem Punkt, an dem die Schweiz um einiges schlechter dasteht als viele andere Länder.

Ein anderes Schlagwort, das man immer wieder hört, ist «gesunder Menschenverstand». Nun, was sagt uns unser gesunder Menschenverstand, wenn wir die Zahlen in den letzten zwei Wochen ansehen? Genau. Dass das Kantönli-Gewurstel nichts bringt und dass es wieder eine gemeinsame Strategie braucht. Dass die Leute nicht mehr wissen, was überhaupt etwas bringt, wenn alle paar Kilometer neue Regeln gelten. Und warum sollte man irgendwas einhalten, wenn sich nicht mal die Verantwortlichen der Kantone einig sind?

Internetmeme - Twitter

Und was macht der Bund? Entgegen der Empfehlung der Fachleute meinen die Politiker «man müsse einen zweiten Lockdown um jeden Preis verhindern». Die liberalen und einige andere Politiker sind offenbar zu kurzsichtig, um zu verstehen, dass ein kurzer Lockdown JETZT weniger wirtschaftlichen Schaden anrichtet als eine ungebremste Pandemie in den nächsten Monaten. Woher ich das weiss? Gesunder Menschenverstand.

Die einzige relevante Zahl in dem ganzen statistischen Salat, der uns täglich präsentiert wird, ist der R-Wert. Der sagt aus, wie viele Menschen durch einen Virusträger neu infiziert werden. Erst wenn der Wert kleiner als 1 ist, nimmt die Pandemie ab. Wenn man die einzelnen Fälle sauber tracen kann, kann man auch die Weiterverbreitung stoppen. Nun, wir haben bereits die Fähigkeit verloren, ein sauberes Tracing umzusetzen. Je mehr Leute infiziert sind, um so schwerer ist es, den R-Wert unter 1 zu kriegen.

Je länger wir mit einem Lockdown warten, umso länger wird dieser (der sowieso kommt) dann dauern. Weil es keinen Sinn macht, einen Lockdown zu beenden, während die Zahl der Infizierten noch zunimmt. Dazu natürlich Gelder für KMUs und Selbstständige, dafür keine Unterstützung und ein Entlassungsverbot für Konzerne, die noch Gewinne auszahlen. Zack.

Zum Schluss noch einige Worte zu den Leuten, die meinen, «man müsse halt lernen, mit dem Virus zu leben», aber eigentlich meinen «ich will mich nicht einschränken, um andere zu schützen»: Sorry, es werden nur diejenigen lernen, «mit dem Virus zu leben», die nicht daran verrecken. Und nein, das Virus ist nicht weniger gefährlich geworden, man kann Gefährdete noch immer nicht schützen, indem man sie «isoliert», nicht mal, wenn man sie hermetisch interniert. Die Zahl der Hospitalisierungen wird hoch gehen, genauso die Zahl der Toten. In einigen kleineren Kantonen hat schon ein einziger Superspreader-Event das Gesundheitssystem an die Grenze gebracht und alle Notfallmediziner warnen vor einem Kollaps.

Also, ihr Eigenverantwortungshelden, übernehmt Verantwortung. Fordert einen Lockdown jetzt, um diese Krise möglichst schnell und mit möglichst wenig Toten zu überstehen. Rettet die Wirtschaft, indem ihr früh genug für eine Schliessung interveniert, damit der Lockdown nicht bis im nächsten März dauert.

Und ehrlich, hört auf zu jammern. Ihr haltet euch für mutig, weil ihr für euch selbst keine Angst habt? Das dauert genauso lange, bis ihr oder euer Umfeld betroffen seid. Und ihr seid zu feige, um euch selbst mal etwas zurückzunehmen, um Schwächere zu schützen.

Lockdown jetzt!

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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