Kindergräber in Kanada: Wohin mit der Wut auf Christen?

Sam Urech
Sam Urech

Wetzikon,

In Kanada gehen Kirchen in Flammen auf. Als Reaktion auf ein unmenschliches Verbrechen. Unser Kolumnist kennt selber diesen Zorn auf Christen.

Sam Urech
Sam Urech besucht die Freikirche FEG Wetzikon. - Fotograf: Sebastian Heeb

Das Wichtigste in Kürze

  • Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
  • Den Autor erreichen Sie unter [email protected] oder auf Social Media.

Es ist nicht zu ertragen, was in den letzten Wochen in Kanada ans Licht kommt. Mehr als 1000 entdeckte Kindergräber, vorgestern fand man die Überreste von 160 weiteren Kindern.

Trudeau
Kanadas Premierminister Trudeau (2.v.r.) besuchte die ehemalige «Residential School Cowessess». Dort wurden 750 Gräber entdeckt. - keystone

Scheusslicher Hintergrund: In Kanada wurden zwischen 1874 und den 1990er-Jahren 150’000 Töchter und Söhne von Ureinwohnern ihren Familien entrissen und in katholische Heime gesteckt.

Da sollten sie ihre Kultur vergessen und zum Christentum umerzogen werden. Viele dieser Kinder litten an Hunger, wurden misshandelt, sexuell missbraucht. Tausende starben, oft an Tuberkulose (als offizielle Todesursache).

Mitschuldig als Christ?

Die Bibel bringt Hoffnung und Liebe? Diesen Ureinwohnern haben Menschen mit der Bibel in der Hand die Hölle gebracht. Dass wütende Menschen jetzt in Kanada Kirchen anzünden, ist schade, aber nachvollziehbar.

Display set up to protest mass grave containing indigenous children, in Kahnawake
Die «Catholic St-Franics Xavier Mission». Hier wurden die Überreste von 215 Kindern gefunden. - keystone

Diese Woche wurde mir von mehreren Lesenden vorgeworfen, ich sei mitschuldig daran, was in Kanada passierte. Ein Vorwurf, der mich heftig triggerte.

Mittlerweile kann ich die Beschuldigungen nachvollziehen. Ich rede hier seit 78 Wochen vom wunderbaren Jesus und gleichzeitig finden sie in Kanada Kinderskelette unter christlichen Internaten.

Wie kann ich es wagen, trotzdem die Bibel zu lieben? Müsste das Christentum nicht verboten werden, wenn Christen wegen ihrem fürchterlichen Bibelverständnis solche Verbrechen begehen?

Dieser Zorn liess mich fast verbittern

Es gab eine Zeit, da stellte ich mir genau diese Fragen und wäre am liebsten fortgerannt, wenn sich mir jemand mit einem biblischen Vornamen vorstellte. Oder eine ungeschminkte Frau mit Rock bis zu den Knöcheln.

Hätte dann ein Halleluja-Typ solche Kolumnen geschrieben, wäre ich ausgerastet. Selbst wenn er ebenfalls betont hätte, dass er nie jemanden zum Glauben zwingen und niemals ein Kind seiner Familie entreissen würde. Hätte für mich keine Rolle gespielt: Christ ist Christ, dachte ich.

Dieser Zorn liess mich fast verbittern. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Sache aufzuarbeiten. Aber wie? Ich sah laufend neue Fromme, die sich schlimm aufführten und meine Enttäuschung bestärkten. Irgendwann stellte ich fest, dass es Jesus vielleicht ähnlich erging.

Fromme wollten den Tod von Jesus

Jesus nahm nie Abstand zu «Sündern». Er ass mit Steuereintreibern, die den Römern ihre eigenen Landsleute ans Messer lieferten. Jesus umarmte Ausgestossene oder vergab dem Verbrecher, der neben ihm gekreuzigt wurde.

Aber eine Menschengruppe trieb Jesus zur Weissglut: die religiösen Führer seiner Zeit. Warum? Weil sie dachten, sie wären Gott nahe, aber verblendet waren, Menschen unterdrückten und zerstörten.

Genau diese Frömmler waren es dann, die nicht locker liessen, bis die Römer Jesus ermordeten. Supergläubig und gottesfürchtig zu sein, heisst noch lange nicht, dass man Gott wirklich kennt.

Menschen versagen, Gott nicht

Wichtig ist, dass Sie verstehen, dass Jesus darüber weint, was in Kanada passierte. Verantwortlich dafür waren Menschen, die sich auf die Bibel stützten, die Botschaft der Bibel aber nicht im Ansatz kapierten.

Eine Aufnahme von 1937 der «Kamloops Residential School». In unmittelbarer Nähe wurden Hunderte unmarkierte Gräber gefunden. - keystone

Das Grossartige an der Bibel konnte ich nur verstehen, weil ich die Geschichte von Jesus losgelöst von Menschen zu betrachten versuchte. Also dabei nicht mehr an die Inquisition oder eigene Verletzungen dachte.

Es macht die Schandtaten in Kanada nicht besser. Aber mir hilft es, dafür nicht Gott anzuklagen und nicht wegen Christen zu verbittern, die mich enttäuschen.

Denn die Botschaft der Bibel ist perfekt. Die Liebe Gottes ist das Grossartigste, was ein Mensch je erfahren kann. Leider fällt es vielen so schwer, diese Liebe anzunehmen und weiterzugeben. Mir oft auch.

***

Zum Autor:

Sam Urech ist 37-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam ist selbständiger Kommunikationsberater und in Ausbildung zum Seelsorger.

Er liebt seine Familie, Gimmelwald, Schwarzmönch Black Ale, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Wenn Sie hier klicken, finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.

Fragen oder Anregungen? Sie erreichen Sam via samurech.ch

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