Lohngleichheit: So wird in der Schweiz der Weg geebnet!
Klassische Frauenberufe sind schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Doch warum eigentlich? Und was hat das mit dem Forschungszentrum CERN in Genf zu tun?
Das Wichtigste in Kürze
- Zwischen Männern und Frauen besteht eine Lohnschere, die System hat.
- In typischen Frauenberufen verdient man noch immer weniger als in Männerberufen.
- Die Gesellschaft sollte sich mit dem Wert dieser Berufe auseinandersetzen. Ein Gastbeitag.
In meinem Bekanntenkreis haben die Frauen im Schnitt einen schlechteren Lohn als die Männer. Zu der Gruppe der Wenigerverdienenden gehören eine Primarlehrerin, eine Sozialarbeiterin, eine Pflegefachfrau und eine Kleinkinderzieherin.
Viele akzeptieren ihren Lohn mit einem Schulterzucken oder geben sich eine Mitschuld: «Ich wusste ja, dass ich nicht viel verdienen werde. Ich hätte auch Ingenieurin werden können.»
Typische Frauenberufe haben geringeren sozialen Status
Was sie mit solchen Aussagen vernachlässigen: Die Lohnschere zwischen typischen Männer- und Frauenberufen hat System. So verdienen Coiffeusen, Dentalassistent:innen und medizinische Praxisassistent:innen fünf Jahre nach Lehrabschluss bis zu 1500 Franken im Monat weniger als Elektroinstallateur:innen, Zimmermänner/Zimmerinnen oder Maurer:innen.
In klassisch weiblichen Berufen arbeitet man meist nahe am Menschen – in den Berufsfeldern «Krankenpflege und Geburtshilfe» und «Sozialarbeit und Beratung» sind über 80 Prozent der Angestellten Frauen.
Diese Ungleichbehandlung von gleichwertiger Arbeit wurzelt darin, dass typische Frauenberufe einen geringeren sozialen Status haben. Etliche Studien zeigen, dass der Arbeit von Frauen in der Gesellschaft bis heute weniger Wert zugeschrieben wird.
Diese Muster sind kulturell bedingt und historisch gewachsen: Vor über 100 Jahren galten «Fräulein- und Mädchenberufe», wie etwa Pflege oder Kinderarbeit, als «wesenhaft». Das heisst, dass ihre untergeordnete Bedeutung dem «natürlichen Wesen der Frau» entsprach. Dementsprechend schlecht wurden sie entlöhnt.
Stück für Stück haben sich Frauen seither höhere Löhne erkämpft. Ein Meilenstein war 1982, als sechs Pflegefachfrauen aus Zürich ihren Arbeitgeber verklagten. Ihr Argument: Die Lohnskala der städtischen Angestellten sei diskriminierend – diplomierte Pflegefachfrauen verdienten weniger als ungelernte Magaziner.
Sie verlangten eine Einreihung in eine höhere Lohnklasse und gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Die Klage ging bis vor Bundesgericht, wo die Frauen 1990 Recht erhielten: Die Stadt Zürich musste ihnen Lohn nachzahlen und die Besoldungsordnung anpassen. Und Pflegefachfrauen stiegen in die gleiche Lohnklasse wie Sanitäter auf.
Mehr Diversität als Voraussetzung für Lohngleichheit
Diese Muster sind bis heute präsent. Ein Beispiel dafür, dass Frauenarbeit traditionell weniger Wert hat, ist die europäische Organisation für Kernforschung CERN.
Das Zentrum in Genf beschäftigt über 17'000 Forschende aus aller Welt, die aber nicht vom CERN, sondern von Institutionen in ihrem jeweiligen Herkunftsland entlöhnt werden.
Eine Genfer Forscherin hat Folgendes beobachtet: In Ländern, wo Forschende sehr gut entlöhnt werden und einen hohen Status geniessen, sind die Männer tendenziell im Überschuss (zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz). In Ländern jedoch, in denen Forschende traditionell weniger verdienen und der Job weniger Ansehen hat, ist der Frauenanteil grösser (zum Beispiel in Italien).
Es gibt etliche Versuche, Männer in klassische Frauenberufe und Frauen in klassische Männerberufe zu bringen.
Das ist wichtig: Mehr Diversität ist eine bedeutende Voraussetzung für Lohngleichheit. Aber die Gesellschaft muss sich dringend auch mit dem Wert von traditionellen Frauenberufen auseinandersetzen und gleichzeitig die Rollenbilder hinterfragen, die wir bereits früh jungen Mädchen auf den Weg mitgeben.
Nur so wird der Weg für echte Lohngleichheit in der Schweiz geebnet.