Operation Libero erinnert an 10 Jahre Masseneinwanderungsinitiative
Der Schock über das «Ja» des Stimmvolks zur Masseneinwanderungsinitiative führte zur Gründung der «Operation Libero». Mitgründer Silvan Gisler erinnert sich.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor exakt 10 Jahren sagte das Stimmvolk Ja zur Masseneinwanderungsinitiative.
- Für manche war dies allerdings schockierend, so auch für Silvan Gisler.
- Das Ereignis führte aber auch zur Gründung der Operation Libero. Gisler blendet zurück.
Die Schockstarre war da. Enttäuscht, hässig, fassungslos waren progressive, liberale Kräfte vor 10 Jahren: Am 9. Februar 2014 wurde die Masseneinwanderungsinitiative angenommen. Es war der Höhepunkt der Macht der SVP.
Wie viele andere auch trieb mich die Unruhe an in diesen Tagen. Mit rund fünfzig anderen, meine Unruhe teilenden Menschen ging ich an ein Treffen im Viadukt in Zürich. Uns vereinte der Unmut über das Abstimmungsergebnis. Und der Wille, zukünftig die moderne Schweiz nicht länger Abschottern zu überlassen. Sechs Monate später riefen wir die Operation Libero ins Leben.
10 Jahre danach
Zehn Jahre danach nun lese ich einen Meinungsbeitrag, den ich gleich nach Annahme der MEI in einer Zeitung publiziert hatte. Vom «Abstimmungskater» schrieb ich da. Davon, wie das Feld der Narrative den Initianten überlassen wurde, wie Argumente übernommen wurden und wie das Resultat vor allem gezeigt habe, «wie Verteidigung einer offenen und modernen Schweiz nicht geht».
Das JA zur MEI war Ausdruck einer SVP auf ihrem Höhepunkt der Macht. In der Retroperspektive war es auch das beginnende vorläufige Ende. Die Durchsetzungsinitiative wurde versenkt. Die No-Billag-Initiative wurde versenkt. Selbstbestimmungsinitiative? Versenkt. Kündigungsinitiative. Versenkt. Auch das Referendum gegen das Waffengesetz und somit auch gegen Schengen hatte keine Chance.
Keine Geschichte ist stringent. Und somit auch diese nicht. So gelang es der SVP beispielsweise mit der Diskussion um die Umsetzung der MEI, die gesamte Politlandschaft am Gängelband zu führen. Und in Migrationsfragen produzierte die «hart aber fair»-Doktrin, die in erster Linie «hart» meint, munter weiter Verschärfungen.
SVP-Meisterstück: Scheitern des Rahmenabkommens
Dennoch: Angriffe auf den Rechtsstaat wurden abgewehrt, liberale Errungenschaften verteidigt, europafreundliche Kräfte gebündelt und gestärkt. Heute ist die populistische Rechte in Europa wieder im Aufschwung und mit ihr die SVP. Und in der Europapolitik gelang der SVP mit dem Scheitern des Rahmenabkommens ein Meisterstück, weil sie selbst dafür keinen Finger krümmen musste, das übernahmen andere. Die Wahlen 2019 wurden durch die Wahlen 2023 praktisch revidiert.
2014 ist nicht 2019 ist nicht 2024. Und doch: Einige Entwicklungen von heute erinnern an damals und lassen den liberalen Geist unruhig werden. Die Narrative in der Migrationspolitik und Europapolitik werden derzeit rechts aussen gesetzt. Die Vorstellung der Schweiz als etwas Gewordenes statt etwas Werdendes; etwas, das dank seiner Abgrenzung zur Welt, nicht dank seiner Involviertheit in der Welt gut ist, gewinnt wieder an Dominanz. Radikale Anliegen, die vor wenigen Jahren krachend an der Urne scheiterten, werden neu aufgelegt.
Noch gibt es keine neue radikale Initiative à la MEI, deren Annahme die progressiven Kräfte der Schweiz in Schockstarre versetzt. Doch eben jene Kräfte sollten gut daran tun, die Fehler im Vorfeld der MEI nicht zu wiederholen. Sondern vielmehr die Energie der Post-MEI-Zeit aufgreifen. Narrative können gebrochen werden. Liberale Werte können an der Urne gewinnen. Die Schweiz ist werdend. Und somit können wir sie gestalten.
Zum Autor: Silvan Gisler (36) ist Mitgründer der Operation Libero und Vorstandsmitglied.