Seit Jahren lanciert die SVP gefährliche Volksinitiativen. Es geht ihr dabei nicht ums Allgemeinwohl , sondern um Politmarketing.
SP Schweiz Roger Nordmann
Roger Nordmann, Fraktionspräsident der SP Schweiz. - Community

Das Wichtigste in Kürze

  • Die SBI schafft rechtliche Unsicherheiten.
  • Die SBI schwächt die Menschenwürde
  • Die SBI schwächt das Bundesgericht
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Unter dem Deckmantel fragwürdiger juristischer Konstrukte bezweckt sie die Zerschlagung schweizerischer Werte. Welche Absicht steckt hinter diesem Vorstoss, der die Rechtssicherheit untergräbt und die Menschenrechte frontal angreift? Wenn man sich die Konsequenzen des Volksbegehrens anschaut, sieht man, worum es der SVP eigentlich geht: Die Durchsetzung populistischer Vorstellungen von Staat und Gesellschaft auf den Trümmern des Rechtsstaats. Eine Beweisführung in sieben Punkten.

Es ist klar, dass sich der Angriff der SVP-Initiative gegen internationale Verträge vor allem gegen die Beziehungen der Schweiz zu Europa richtet. Für die SVP heisst der Alleingang in erster Linie, dass sich die Schweiz aus dem europäischen Rahmen befreit. Dieser wird gerne als unerträgliche Zwangsjacke bezeichnet: Vogt Gessler sitzt nach Meinung der SVP heute in Brüssel.

Rechtliche Unsicherheiten schaffen

Man kann sich vorstellen, wie schwierig der Abschluss neuer Vereinbarungen mit der EU würde, wenn die SVP-Initiative angenommen wird. Wie könnte die Europäische Union so noch einen Vertrag mit der Schweiz unterzeichnen? Das würde zumindest schwierig im Wissen darum, dass die Schweiz soeben ein Volksbegehren angenommen hat, dass auch die Einhaltung bereits unterschriebener Verträge nicht mehr garantiert.

Wenn man den Text der SVP-Initiative liest, fallen zuerst Ungereimtheiten und Widersprüche auf. Die ersten beiden Artikel (Artikel 5 und Artikel 56a) scheinen zunächst klar. Einerseits soll die Bundesverfassung Vorrang vor dem Völkerrecht haben. Andererseits dürfen Bund und Kantone keinerlei Verpflichtungen eingehen, die der Verfassung widersprechen. Es soll eine klare Unterscheidung zwischen Schweizer Recht und Völkerrecht geschaffen werden, während heute ratifizierte internationale Vereinbarungen automatisch Teil des Schweizer Rechts werden. Ausserdem schafft die Initiative eine neue Hierarchie: Das Schweizer Recht soll über das Völkerrecht gestellt werden.

Die Abneigung gegen Europa steht im Zentrum der ebenso schwammigen wie gefährlichen SVP-Initiative. Auch in anderen Ländern zeigt sich, dass populistische Bewegungen die Verteufelung der europäischen Zusammenarbeit dazu nutzen, das „wahre Volk“ gegen die „illegitimen Eliten“ aufzuhetzen. Wer Europa ablehnt, lehnt auch die Regeln und Werte ab, die sich Europa gegeben hat, um den erneuten Aufstieg autoritärer Regime zu verhindern.

Überraschenderweise verlangt dann aber der erste Satz von Artikel 5, Absatz 4 die Respektierung des Völkerrechts. Und vor allem widerspricht der dritte Artikel (Artikel 190) den ersten beiden Artikeln der Initiative. Dieser besagt, dass ein internationales Abkommen, das einer Volksabstimmung vorgelegt worden ist oder zumindest referendumsfähig war, zwingenden Charakter hat – auch wenn es allenfalls der Bundesverfassung widersprechen würde. Angesichts des widersprüchlichen Initiativtexts bleibt unklar, welche internationalen Verträge neu verhandelt oder gar widerrufen werden müssten. Auch eine zweite Lektüre schafft keine Klarheit. Entsprechend ist unklar, wie der vorgeschlagene Verfassungstext ausgelegt werden soll, wenn es zu Konflikten zwischen der Bundesverfassung, den Schweizer Gesetzen und internationalen Verträgen kommt.

Die Menschenwürde schwächen

Dieses Durcheinander ist kein Zufall. Es liegt auch nicht im mangelnden Wissen über das Schweizer Rechtssystem begründet. Nein, die Rechtssicherheit soll untergraben werden. Verwirrung darüber, wie das Völkerrecht angewendet werden soll, führt zu Unsicherheit. Und Unsicherheit und mangelnder Rechtsschutz rufen – so sieht es die SVP vor – nach dem „starken Mann“, der alles regelt. Unsicherheit – sei sie wirtschaftlich, gesellschaftlich oder juristisch – begünstigt ein autoritäres Vorgehen. Ja, Unsicherheit ist sogar eine zwingende Vorbedingung für den Erfolg autoritärer Politik. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

Die SVP hat mit ihrer Initiative verschiedene Ziele im Visier. Dazu gehört auch die Europäische Menschenrechtskonvention (ERMK). Das Volksbegehren der SVP will verhindern, dass ein Schweizer Gericht die ERMK über ein Bundesgesetz stellt, das allenfalls gegen die verfassungsmässigen Grundrechte verstösst.

Verträge angreifen

Die Ratifikation der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde 1974 nicht dem fakultativen Referendum unterstellt, weil dies damals von der Verfassung nicht vorgeschrieben war. Entsprechend würde die EMRK nicht von den Ausnahmebestimmungen der Initiative profitieren und würde nach einer Annahme der SVP-Initiative höchstwahrscheinlich ausser Kraft gesetzt. Es zeigt sich, dass die Vorlage die Grundrechte der Menschen in der Schweiz besonders bedroht – zu Recht spricht man denn auch von der „Anti-Menschenrechts-Initiative“.

Die Schweiz hat bis heute 4’000 bis 5’000 Verträge ratifiziert. Die meisten davon wurden keinem Volksreferendum unterstellt. Gemäss Artikel 190 der SVP-Initiative wären die Behörden und das Bundesgericht nicht mehr an diese Verträge gebunden. Da stellt sich die Frage: Kann die Schweiz es sich wirklich leisten, einseitig zu beschliessen, diese Verträge – die ja bereits ratifiziert worden sind – nicht mehr zu respektieren? Muss die Schweiz entsprechend auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969 aufkündigen? Diese hält nämlich explizit fest: „Pacta sunt servanda“ –Verträge müssen respektiert werden.

Die SVP will mit der Initiative die Grundrechte der Menschen schwächen. Wir dürfen nie vergessen, dass der Europarat die EMRK nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges erarbeitet hat, um uns alle zu schützen und zu mehr Frieden und Sicherheit beizutragen. Anders gesagt: Falls die SVP-Initiative angenommen wird, schwächt die Schweiz, die sich sonst seit jeher für die Menschenrechte engagiert, den Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Dieser Angriff der SVP auf internationale Verträge ist unverständlich. Kein Land könnte mehr der Schweiz vertrauen. Es gäbe ein grosses Misstrauen gegenüber einer Eidgenossenschaft, die Verträge, welche sie selber unterschrieben hat, plötzlich nicht mehr respektiert. Dabei kann sich die Schweiz rühmen, auf ein rechtstaatliches Fundament aufgebaut zu sein. Natürlich weil unser Wohlstand auf klaren Rechtsnormen beruht, die auch eingehalten werden. Aber vor allem auch weil schon am Ursprung der Schweiz Verträge zwischen eigenständigen Staatswesen standen: Was war der Bundesbrief von 1291, wenn nicht ein „internationaler“ Vertrag der Länder Uri, Schwyz und Unterwalden? Und was wäre die Schweiz ohne die Anerkennung der internationalen Staatengemeinschaft und ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen?

Das Begehren der SVP ist somit vollständig unschweizerisch. Es ist unverständlich, dass eine Partei, die sich den Patriotismus auf die Fahnen schreibt, eine solche Volksinitiative lanciert. Die SVP-Initiative kann nur aus einer populistischer Warte begründet werden: So soll die Nation gegenüber der internationalen Gemeinschaft in den Vordergrund gestellt werden. Die SVP will nicht nur den Alleingang. Sie will, dass die Schweiz sich gegen andere Länder und gegen das internationale Recht stellt, um so ihre eigene Identität und ihre eigenen Gesetze zu begründen. So werden Feinde geschaffen, die wir gar nicht haben. Es wird Feindseligkeit geschürt gegen aussen ebenso wie gegen „Fremde“ im Innern. Mit einer solchen Stimmung soll die nationalistische Bewegung gestärkt werden.

Die Beziehungen zur Europäischen Union blockieren

Doch die Haltung der SVP lässt sich erklären. Die Suche nach Sündenböcken, die Schuldzuweisungen an Andersdenkende und Ausländer_innen, die Infragestellung der Grundrechte: All dies treibt die populistische Maschinerie an. Das Ziel der SVP ist es, bestehende „Einschränkungen“ aufzuheben. Wenn die Schweiz nicht mehr an die Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden wäre, würde es für die SVP einfacher werden, mittels verschärfter Diskriminierung und Ausgrenzung noch mehr Macht zu erobern.

Das Bundesgericht schwächen

Die SVP stellt ihre Initiative unter das Motto: „Gegen fremde Richter“. Dies lässt den populistischen und fremdenfeindlichen Charakter des Begehrens umso klarer hervortreten. In der Realität betrifft es aber die „fremden Richter“ in keiner Weise. Es handelt sich dabei um reines Polit-Marketing.

Im Gegenteil – betroffen sind die Schweizer Richterinnen und Richter am Bundesgericht, die bei einer Annahme der SVP-Initiative vor schwierigen Herausforderungen stünden. Einerseits, weil die Initiative ein juristisches Durcheinander anrichtet, das viele Entscheide des Bundesgerichts zum Gegenstand der Kritik machen würde. Andererseits, weil es ein erklärtes Ziel der Initiative ist, die Macht des Bundesgerichts zu schwächen – beispielsweise, indem sie fordert, eine Initiative neueren Datums sei höher zu gewichten als ein unterzeichneter internationaler Vertrag.

Angriffe auf Richter_innen und Gerichte sind Teil der klassischen populistischen Politik. Die Schwächung des Rechts und der Gerechtigkeit macht die Bahn frei für den autoritären Auftritt und den Extremismus. Anders gesagt: Indem die SVP die Macht des Bundesgerichts schwächen will, will sie ihrerseits an Einfluss zulegen.

Ein Wolf im Schafspelz

Die SVP-Initiative versteckt den Angriff auf den Rechtsstaat geschickt hinter einer geschraubten rechtswissenschaftlichen Rhetorik. Die Attacken auf bislang unangreifbare Schweizer Werte wie Treu und Glauben, Rechtssicherheit, Einhalten von Verträgen, Schutz der Grundwerte und des internationalen Rechts werden hinter einer pseudowissenschaftlichen Diskussion versteckt, die einen Gegensatz zwischen dem sogenannten „Bürgerwillen“ und dem bestehenden Recht konstruiert.

Lassen wir uns nicht täuschen! Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative wirft keine wirklichen juristischen Probleme auf, die vernünftige Menschen erörtern und gegeneinander abwägen könnten. Es handelt sich nicht um einen fachlich abgestützten Vorschlag mit Vor- und Nachteilen. Und noch weniger betrifft die Initiative nur die Gerichte. Im Gegenteil, es handelt sich hier um eine hinterhältige Attacke auf unsere Grundwerte, der nur eins verdient: eine klare Absage.

Die Taktik der SVP ist durchsichtig: Üblen Angriffen auf Recht und Zusammenleben wird ein Mäntelchen der Respektabilität umgehängt – ein alter populistischer Trick. Hinter dem Rauch einer fingierten juristischen Debatte versteckt sich ein gefährliches Feuer, das sich gegen den Rechtsstaat richtet. Mit ihrer Initiative will die SVP eine Scheindebatte von Spezialisten lancieren, die dazu beitragen soll, das Vertrauen der Schweizerinnen und Schweizer in das Recht im Allgemeinen und das internationale Recht im Besonderen zu schwächen. So wird neuen Angriffen auf Staat und Institutionen der Boden bereitet.

Die SVP will das Recht des Stärkeren

Hinter konfusen juristischen Schlaumeiereien versteckt die SVP ihre Streubombe. Aus grosser Höhe geworfen, würde sie noch in der Luft explodieren und weitere Bomben freisetzen – alles mit dem Ziel, das internationale Recht, den Rechtsstaat und das Zusammenleben in der Schweiz direkt und dauerhaft zu beschädigen.

Der SVP geht es um viel mehr als um eine neue Hierarchie zwischen internationalem und nationalem Recht. Eine Partei, die überall und immer nach der Abschaffung von Regeln ruft, will auch im Bereich des Rechts Barrieren niederreissen, die dem Schutz des Gemeinwohls dienen.

Wenn die Initiative angenommen wird, ist mit mannigfachen Schäden zu rechnen. In Mitleidenschaft gezogen würden die internationalen Verträge, die Beziehungen der Schweiz zu Europa, die Rechtssicherheit, das Bundesgericht und nicht zuletzt die Menschenwürde. Die SVP will dies alles hinwegfegen unter dem Zeichen einer Politik, die nur noch das Recht des Stärkeren kennt.

In hinterhältiger Art und Weise greift die „Selbstbestimmungsinitiative“ der SVP Schweizer Werte an. Der Name „Selbstzerstörungsinitiative“ wäre deshalb passender. Umso wichtiger ist ein klares Nein am 25. November 2018.

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