Wie der Klimawandel unseren Wein verbessert
Endlich gibt es gute Neuigkeiten zu einem Thema, bei dem viele gerne wegschauen: Dank des Klimawandels werden unsere Weine immer besser und vielfältiger.
Das Wichtigste in Kürze
- Höhere Temperaturen führen zu einer besseren Traubenreife. Das sorgt für Topweine.
- Dagegen setzen Trockenheit und Pilzkrankheiten den Reben zu.
- Daher setzen Winzer vermehrt auf neue Rebsorten auf Kosten von Traditionstrauben.
- Weinjournalistin Catherine Duttweiler ordnet in ihrer Kolumne ein.
Seit 1990 haben Schweizer Trauben bei der Ernte durchwegs eine «gute bis sehr gute Qualität» – wegen der Erwärmung unseres Planeten. Dies sagt der führende Schweizer Klimahistoriker Christian Pfister.
Er hat die Weinmostqualität – die Basis für die Weinherstellung – seit dem 15. Jahrhundert analysiert und seine Erkenntnisse kürzlich vor Winzerinnen und Weinfreunden der «Chaîne Viniterra» in Twann präsentiert.
Sein Fazit: Dank höherer Temperaturen reifen die Trauben besser aus, was zusammen mit besseren Ausbildungen im Rebbau hierzulande für Topweine sorgt.
Zeit der sauren Landweine ist vorbei
Noch in den 80er-Jahren galt der Zürichsee als klimatische Nordgrenze für den Weinbau, vergorener Traubensaft aus der Ostschweiz wurde pauschal abqualifiziert. Inzwischen gibt es kleine, aber feine Weingüter in jedem Schweizer Kanton auch nördlich der Alpen.
Zum Beispiel das WeinWerk in Wienacht-Tobel (AR), Weinbau Ottiger in Kastanienbaum (LU) oder Weinbau Ruch aus Neunkirch (SH). Weinliebhaberinnen und Händler sind begeistert.
Bündner Herrschaft kann mit Burgundern mithalten
An etablierten Lagen wie der Bündner Herrschaft können bekannte Weingüter wie Gantenbein, Hermann, Adank und Obrecht nahezu mit ihren berühmten Brüdern aus dem Burgund mithalten. Rebsorten, die lange nur im Süden kultiviert wurden, werden seit einiger Zeit nördlich und westlich des Gotthards erfolgreich angebaut:
Merlot (zum Beispiel von Tobias Schmid/Berneck oder Henri Cruchon/Morges), Syrah (von Jean-René Germanier/Vétroz oder Schwarzenbach/Meilen) oder auch Malbec (Cave Biber/Salgesch oder Grillette/Cressier) bieten ausserordentlichen Trinkgenuss.
Ein weiteres Beispiel für positive Effekte des Klimawandels? Der Sauvignon blanc boomt in der Westschweiz seit rund 20 Jahren als Alternative zum Chasselas. Kein Wunder: Am Bielersee ist das Klima laut Pfister heute ähnlich mild wie an der Loire.
Aus dem Loire-Tal stammen einige der weltweit besten Weissweine aus Sauvignon-blanc-Trauben wie etwa der Sancerre und der Pouilly-Fumé.
Schweizer Weine werden schwer und alkoholreich
Früher sorgten Winzer aus der Westschweiz für Skandale, weil sie illegalerweise tief in den Zuckersack griffen, um ihre säuerlichen Erzeugnisse trotz kühlem Wetter geniessbar zu machen. Das ist heute zum Glück nicht mehr nötig, im Gegenteil. Regen fällt vermehrt im Winter statt im Sommer, die Trauben können voll ausreifen.
So steigen die Oechsle-Grade, die den Zuckergehalt im Traubenmost beziffern, dank höherer Temperaturen auf natürliche Weise. Eine Datenanalyse vom Zürichsee zeigt: Die Oechsle-Grade des Traubensafts waren seit 1989 durchwegs überdurchschnittlich. Sie lagen im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten ständig über 85 Grad, ab 2004 mit drei Ausnahmen sogar stets über 95 Grad.
Neue Schweizer Rotweine passen gut zu Grilliertem
Die Konsequenz: Da der viele Zucker bei der Gärung in Alkohol umgewandelt wird, gibt es immer weniger leichte Landweine, der Alkoholgehalt gerade der Rotweine nimmt stark zu. Kein Wunder, kann Winzer Erich Meier aus Uetikon am See einen gehaltvollen Pinot Noir Barrique mit 13,5 Prozent produzieren.
Für uns Weinliebhaberinnen gibt es also kaum mehr Ausreden, um Weine aus Übersee einzufliegen – ausser man setzt auf billige Massenprodukte. Selbst kräftige Fleischgerichte vom Grill lassen sich problemlos mit einem passenden Rotwein aus der Schweiz kombinieren.
Auch den Reben kann es zu warm werden
Alles bestens also im Rebberg dank des Klimawandels? Leider nicht ganz. Pfister warnte in seinem Rückblick auf 1000 Jahre Klimaentwicklung davor, dass wir uns aktuell vom «behaglichen zum bedrohlichen Klimawandel» bewegen.
Die Landwirtschaft leidet ganz besonders unter hohen Temperaturen, grosser Trockenheit und plötzlichem Starkregen.
Gespräche mit Winzerinnen und Winzern zeigen: Es wird immer schwieriger, Trauben ausgewogen reifen zu lassen und im richtigen Moment zu ernten – weil sie zu viel Zucker und zu wenig Säure entwickeln.
Heranreifende Trauben werden bei grosser Hitze von der Sonne ausgekocht, was zu marmeladigen, geschmacklich enttäuschenden und alkoholreichen Weinen führen kann, wie wir sie etwa aus Süditalien kennen. Die Krux: Werden die Trauben früher gelesen, sind die Traubenkerne oft noch grün, was zu grasigen Aromen führen kann.
Trockenheit führt zu Pilzkrankheiten
Zudem führt auch die zunehmende Sommertrockenheit zu Problemen: Sie fördert den echten Mehltau, ein Schönwetterpilz, der ganze Pflanzenteile absterben lässt. Und die Reben brauchen vermehrt Bewässerung, was an steilen Hanglagen aufwendig ist. Vor allem empfindliche Jungreben können ohne Wasserzufuhr nicht überleben.
So versuchen Winzer auf der ganzen Welt derzeit auch aus kommerziellen Gründen, sich den neuen Klimabedingungen anzupassen: Sie reissen ihre alten Reben aus und ersetzen sie durch Stöcke, die das warme und trockene Klima besser ertragen.
Winzerinnen und Winzer pflanzen neue Rebsorten
Im Bordeaux wird anstelle von Merlot vermehrt Touriga Nacional angepflanzt, da diese portugiesische Sorte weniger Wasser braucht. In der Toscana werden die klassischen Sangiovese-Reben ausgerupft und an schattige Nordlagen umgepflanzt. Und im früher verregneten Südengland wird neuerdings bester Schaumwein im Stil der Champagne produziert.
In der Schweiz schliesslich werden alte Sorten wie Müller-Thurgau verstärkt in höheren Lagen kultiviert oder ganz aufgegeben – zugunsten von internationalen Rebsorten. Der Pinot noir dürfte im Tessin mittelfristig verschwinden.
Kleiner Trost: Die urschweizerische Weissweinsorte Chasselas, noch bis in die 80er-Jahre als billiger Kopfwehwein verrufen, hat laut Fachleuten bei höheren Temperaturen gute Zukunftschancen. Innovative Winzer experimentieren bereits mit neuen Herstellungsmethoden für die im Keller anspruchsvolle Sorte.
So füllt Stephan Martin aus Ligerz einen frischen Chasselas Primeur noch im Erntejahr vor Weihnachten ab. So erfreut sich der ungefilterte Chasselas «Non-filtré» vom Neuenburgersee weit über die Kantonsgrenzen hinaus steigender Beliebtheit bei Winzern und Kundinnen.
Und so lassen immer mehr Weingüter ihren besten Chasselas während sechs bis zehn Jahren reifen, bis er eine neue, komplexere Aromatik von Brioche über Ananas bis Champignon entwickelt. So macht Weintrinken Spass!
Zur Autorin: Ob das beste Weingadget, Schweizer Schaumwein oder Weinwissen für Einsteigerinnen und Einsteiger: Weinjournalistin Catherine Duttweiler nimmt uns bei Nau.ch mit auf die Reise des Genusses.