Darum steckt Boeing so tief in der Krise
Das Wichtigste in Kürze
- Boeing verschiebt den Start der 777-8 auf unbestimmte Zeit.
- Nach zwei Abstürzen der 737 Max sind alle Jets des Typs gegroundet.
Jetzt noch das: Boeing muss den Marktstart der 777-8 verschieben. Man wolle «Risiken im Entwicklungsprogramm reduzieren», erkläre der Flugzeugbauer gestern. Wann der Jet ausgeliefert wird, steht in den Sternen.
Damit steht für den US-Konzern ein Prestige-Auftrag auf der Kippe. Die 777-8 ist im Gespräch für die weltweit längste Nonstop-Verbindung. Betreiberin Qantas hat dafür die Wahl zwischen dem Boeing-Jet oder der Airbus A350 – vorausgesetzt, beide Hersteller können liefern. Wegen der Verzögerung dürfte der Entscheid zugunsten der Europäer ausfallen.
Boeing steckt tief in der Krise. Zwei Abstürze in Indonesien und Äthiopien mit einer 737 Max forderten 346 Menschenleben. 550 Jets wurden gegroundet.
Boeing und Airbus haben ein Duopol für Grossraumflugzeuge. Das liegt am Ausmass des Flugzeugbaus: Die Entwicklung eines Jets ist mit bis zu zehn Milliarden Franken extrem teuer und amortisiert sich frühstens nach zehn Jahren.
Harter Konkurrenzkampf
Trotz der eigentlich bequemen Konkurrenzsituation herrscht zwischen beiden Flugzeugbauern ein harter Verdrängungskampf. Wie der «Spiegel» jüngst berichtete, glauben US-Anwälte, die Angehörige der jüngsten 737-Abstürze vertreten, dass dieser Konkurrenzkampf Boeing fahrlässig handeln lassen hat.
Rückblick: Ende 2010 hat Rivale Airbus angekündigt, die ganze A320-Familie zu überarbeiten. Dabei wurden die Jets mit neuen Triebwerken ausgerüstet und der Kerosinverbrauch um 15 Prozent reduziert.
Über tausend Exemplare verkauften die Europäer im ersten Jahr, auch an ehemalige Boeing-Stammkunden. Das konnte der US-Konzern nicht hinnehmen.
In einer Rekordzeit von neun Monaten frischte der Flugzeugbauer den 737 auf – zum Erstaunen der Branche. Mit Erfolg: Schnell konnte Boeing bei den Verkäufen wieder den Rivalen aufholen.
Triebwerk zu gross für 737
Nur: Das neue Triebwerk war eigentlich zu gross für die alte Maschine. Boeing verlängerte darum das Bugfahrwerk und brachte das Triebwerk weiter vorn an. Das führte dazu, dass die Nase der Maschine beim Start unter Volllast ungewollt hochgehen kann – wodurch ein Strömungsabriss droht.
Das Unternehmen hat darum eine Software entwickelt, welche das Problem beheben sollte. Das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) senkt ohne Einwirken des Piloten die Nase der Maschine.
Dieses System nutzt nur einen Sensor, um die Fluglage des Flugzeugs zu bestimmen. Das ist aus zwei Gründen pikant. Immerhin gilt in der Luftfahrt das Prinzip der Redundanz: Jedes System muss mindestens zweimal vorhanden sein, um Ausfälle zu kompensieren.
Zudem hat die 737 Max zwei solcher Sensoren verbaut. Warum also nur einen nutzen? Gegenüber der «NZZ» erklärte Kevin McAllister, Chef der Zivilluftfahrtsparte von Boeing, dass man die Systemarchitektur nicht komplexer als nötig habe machen wollen.
Die Software wurde von der US-Luftfahrtbehörde FAA toleriert, weil sie erst nur zaghaft eingriff. Allerdings hat Boeing im weiteren Entwicklungsprozess die Macht der Software über das Flugzeug verstärkt. Darüber wurde die FAA offenbar nicht informiert.
Piloten wurde darüber gar nicht aufgeklärt, Boeing ersparte den Airlines damit weitere Schulungen des Personals. Und so wusste niemand, was bei einer falschen Aktivierung zu tun war – was wahrscheinlich zu zwei Abstürzen führte.
Jets dürften erst 2020 wieder abheben
Boeing hat mittlerweile für den 737 Max ein Software-Update entwickelt. Das muss die FAA abnehmen. Doch die hat weitere Probleme entdeckt, der Mittelstreckenflieger dürfte darum erst 2020 wieder abheben.
Die US-Luftfahrbehörde und der Flugzeugbauer müssen Vertrauen zurückgewinnen. Es ist darum richtig, nimmt sich die FAA mit der Flugerlaubnis der 737 Max Zeit.
Und auch Boeing tut gut daran, nichts zu überstürzen. Dass die 777-8 trotz Prestige-Verlust verspätet auf den Markt kommt, darf man als Vernunftsentscheid deuten. Für 346 Menschen kommt die Vernunft Boeings allerdings zu spät.