Weiterbildung zu geschlechtsspezifischer Medizin
In der Medizin gilt auch heute noch der Mann als Prototyp. Deshalb gelten Symptome und Verlauf von Krankheiten beim männlichen Patienten als normal, während Symptome, die eher bei Frauen beobachtet werden, als «atypisch» bezeichnet werden. Ein Beispiel ist der Herzinfarkt, der immer noch als typische Männerkrankheit angesehen wird.
Kaum bekannt ist, dass Herzinfarkte bei Frauen häufig andere Symptome hervorrufen. «Dies führt dazu, dass Herzinfarkte bei Frauen oft nicht richtig eingeschätzt und erkannt werden und wertvolle Zeit vergeht, bis medizinischen Hilfe in Anspruch genommen wird», sagt Prof. Cathérine Gebhard, Kardiologin am Zürcher Universitätsspital und Vorsitzende der Programmleitung des neuen CAS «Sex- and Gender-Specific Medicine».
Den umgekehrten Fall gebe es auch, dieser sei aber eher selten, erklärt Gebhard. Bei «typischen» Frauenkrankheiten wie etwa der Osteoporose sei der Mann das unter-, beziehungsweise fehlversorgte Geschlecht.
Auch bei der Wirkung von Medikamenten gibt es Unterschiede: Wirkstoffe werden im weiblichen Körper häufig langsamer abgebaut. Dennoch sind Frauen in Arzneimittelstudien nach wie vor unterrepräsentiert.
Jüngst analysierte Zahlen der US-Arzneimittelbehörde FDA für die Periode 2004 bis 2013 zeigen, dass bei Frauen über 50% häufiger unerwünschte Wirkungen nach Medikamenteneinnahmen auftreten als bei Männern. Die Präzisionsmedizin der Zukunft müsse gezielt auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingehen, sagt Gebhard: «Ein wichtiger erster Schritt ist die Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten.»
Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in die Praxis bringen
Die Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Aspekten der Medizin nehmen jedes Jahr um mehrere Tausend Fachpublikationen zu. Dennoch fliessen sie nur langsam in die Behandlung von Patientinnen und Patienten ein.
Die Integration in die medizinische Grundausbildung steht noch in den Anfängen. Prof. Daniel Candinas, Vizerektor Forschung der Universität Bern und Klinikdirektor der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital Bern, und Prof. Beatrice Beck Schimmer, Direktorin Universitäre Medizin Zürich an der Universität Zürich, haben deshalb als Schweizer Premiere gemeinsam den CAS-Weiterbildungsstudiengang in «Sex- and Gender-Specific Medicine» initiiert.
In Europa einzigartig
Ab Mai 2020 werden in insgesamt elf Modulen in- und ausländische Expertinnen und Experten den Teilnehmenden geschlechtsspezifische Aspekte in den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen sowie in der Forschung aufzeigen, die neuste Evidenz diskutieren und Forschungslücken thematisieren. Neben dem gesamten CAS können auch nur einzelne Module besucht werden.
Der Weiterbildungsstudiengang richtet sich an Medizinerinnen und Mediziner sowie Fachpersonen aus verwandten Bereichen, die ihre Kenntnisse der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin vertiefen und ihre Arbeit am neuesten Forschungsstand ausrichten wollen. Organisatorisch wird er an der Universität Bern angesiedelt sein, aber an beiden Standorten der Universitäten Bern und Zürich werden Module angeboten.
«Beim CAS Sex- and Gender-Specific Medicine handelt es sich um einen umfassenden Studiengang, der in Europa einzigartig ist und direkt dem Wohl der Patientinnen und Patienten zugutekommen soll», sagt Daniel Candinas. «Wir freuen uns auf diese Zusammenarbeit», sagt Beatrice Beck Schimmer.
«Die Universitäten Bern und Zürich bündeln ihre ausgewiesenen Kompetenzen, um die Erkenntnisse der geschlechtsspezifischen Medizin in die Schweizer Praxen und Spitäler zu bringen.»