Kloten: Mit dem Verein Lebens-Anker wieder Fuss fassen
Tania Woodhatch hat jüngst den Verein Lebens-Anker gegründet. Sie bietet Menschen in schwierigen Lebenslagen unter anderem einen Mittagstisch an.
Der frische Kräuterduft liegt bereits vor dem Eingang des Klotener Wohnblocks in der Luft. «Das ist eine Gemüsebouillon», erklärt Tania Woodhatch, die mich sogleich an der Tür abholt. Sie hat zusammen mit ihrem Mann Yves 2012 das Kleinunternehmen Würzmeister gegründet, dessen Produktionsstätte auch gleich im Wohnhaus integriert ist. Seit letztem Herbst ist der gemeinnützige Verein Lebens-Anker dazugekommen, zu dem mir Tania später aber mehr erzählen wird.
Zunächst zeigt sie mir den Ort des Geschehens und bringt mich in die kleine Gewürzmanufaktur im Untergeschoss. Drei fleissige Helfer sind gerade dabei, eine rötliche Gewürzmischung in Gläschen abzufüllen. Tania bietet hier Menschen eine Tätigkeit an, die sich in einer schwierigen Lebenslage befinden.
Strukturen an Menschen anpassen
Die Aufgaben rund um die Herstellung von Gewürzmischungen sollen Menschen eine Tagesstruktur ermöglichen, die unter anderem aufgrund psychischer Probleme zurzeit nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können. «Hier passt sich die Struktur den Menschen an und nicht umgekehrt», erklärt die Geschäftsführerin. Sie wolle denjenigen helfen, für die das System nicht funktioniert hat. Die meisten seien lange zwischen Behörden hin und her geschickt worden, ohne dass sich nachhaltig etwas verändert habe. So sind die Pensen und Aufgaben denn auch ganz unterschiedlich, von zwei Stunden pro Woche bis hin zu einigen Stunden jeden Tag.
Ihr Mann Yves war nach einem schweren Unfall selbst lange in geschützten Werkstätten beschäftigt, was für ihn längerfristig aber nicht erfüllend gewesen sei. «Ich konnte meine Kreativität nicht ausleben und habe mir gewünscht, mehr Freiheit zu haben, um mich entfalten zu können.»
Da eine wertschätzende Gemeinschaft für die beiden im Zentrum steht, offerieren sie allen Teilnehmenden ein kostenloses Mittagessen.
«Erweiterte Familie»
Mittagessen ist hier ein gutes Stichwort. Tania nimmt mich mit in die überliegende Wohnung, in der das Ehepaar lebt. «Privat ist hier aber eigentlich nur das Schlafzimmer», lacht die Geschäftsführerin. Den Rest der Wohnung teilt sie sich mit ihrer «erweiterten Familie», wie sie sie nennt. Nebst dem Mittagessen finden hier auch andere Arbeiten statt – beispielsweise das Etikettieren, Falten von Geschenkboxen oder die Administration.
Aus der Küche ist bereits freudiges Lachen zu hören. Die 19-jährige Mandisha kocht heute für 12 Personen. Eine grosse Herausforderung sei das aber nicht. «Man muss es einfach gut planen. Ausserdem gewöhnt man sich daran.» Auch sie hat einen eher untypischen Lebenslauf für ihr Alter. Sie hat keine Kochlehre absolviert, liebt es aber, mit Lebensmitteln und Gewürzen zu experimentieren.
Die Hilfsköchin ist seit Oktober 2019 mit dabei. Dies, weil auch die Anfrage für den Mittagstisch immer grösser wurde. «Allein in den letzten Monaten hat sich die Zahl verdoppelt», sagt Tania. Das hat das Kleinunternehmen je länger je mehr vor eine finanzielle Herausforderung gestellt. «So gern wir auch wollten, war es mit der Zeit einfach schwierig, jeden Tag ein Essen für so viele Personen zu finanzieren. Zudem sehen wir immer wieder, dass es bei einigen am Nötigsten fehlt.» Auch, damit sie mehr Mittel sammeln können, um Menschen in Notlagen unbürokratisch zu helfen, hat die Unternehmerin den Verein Lebens-Anker ins Leben gerufen.
Mittagessen dank Spenden finanziert
Dank der Spendeneinnahmen ist der junge Verein in der Lage, fünf Mittagstische pro Woche an bis zu jeweils 12 Personen zu bestreiten. Der Lebensmitteleinkauf in lokalen Geschäften sowie die Zubereitung durch Mandisha wird seit Anfang Jahr durch Spenden finanziert.
Auch die Anfragen aus Tanias Umfeld, wie man denn helfen könne, sei jüngst stark gewachsen. «Wir haben deshalb beim Verein einen Notfallfonds eingerichtet.» Damit könne hilfsbedürftigen Menschen geholfen werden, wenn sie sich beispielsweise keine neuen Schuhe kaufen oder sich selbst kein Bett leisten können.
Work-Life-Balance vorleben
Der Tisch wird langsam eingedeckt und füllt sich mit Schüsseln und Auflaufformen. Der heutige Zmittag setzt sich aus verschiedenen Salaten, Brot, Hummus, zweierlei Kartoffeln, überbackenem Gemüse und einer Lasagne zusammen. Yves selbstgemachte Kräuterpasten dürfen auch nicht fehlen.
Aufgestellt erzählt mir die Gruppe etwas über sich. Vier am Tisch sind kaum älter als 20 Jahre. Die Geschichten ähneln sich: Lehrabbrüche, Burn-outs und lange Arbeitslosigkeit. Tania unterstützt ihre Schützlinge bei der Jobsuche oder alltäglichen Aufgaben wie der Steuererklärung.
«Ursprünglich war geplant, die Menschen hier relativ zügig auf die Arbeitswelt vorzubereiten.» Man habe dann aber schnell gemerkt, dass das so nicht funktioniere. «Schlussendlich kommt es aber nicht darauf an, wie lange es dauert. Viel wichtiger ist, dass es nachhaltig ist.»
Das Essen neigt sich langsam dem Ende zu und die Truppe macht sich zu einem kurzen Spaziergang auf. «Wir wollen die Work-Life-Balance schliesslich vorleben und frische Luft sowie Bewegung tun gut», betont Tania. Nachdem wir uns am Stadtrand von Kloten die Beine vertreten haben, verabschiede ich mich kugelrund von meinen Gastgebern, die sich bald wieder der Herstellung von Gewürzmischungen widmen werden.