Parlament

Vom Parlament ausgeschlossen

Die Lenzburger CVP-Politikerin Christina Bachmann-Roth (36) schreibt im Gastbeitrag über die Anwesenheit bei Sitzungen und mögliche digitale Lösungen.

Christina Bachmann-Roth, CVP Lenzburg
Christina Bachmann-Roth, CVP Lenzburg. - z.V.g.

Zu Recht darf die Bevölkerung erwarten, dass gewählte Parlamentsmitglieder – sei es im Einwohnerrat, dem Grossen Rat oder im Nationalrat – an Ratssitzungen teilnehmen. Immerhin sind sie vom Volk gewählte MeinungsvertreterInnen. Auch die Reglemente dieser Räte sagen, dass Präsenz Pflicht ist:

● Einwohnerrat Lenzburg (Artikel 9, Geschäftsreglement)

● Grosser Rat des Kantons Aargau (Artikel 26, Geschäftsverkehrsgesetz, GVG)

Nationalrat des Schweizerischen Parlaments (Art 10 Parlamentsgesetz)

Eine Stellvertretungsregelung (ausser teilweise für Kommissionen) ist nicht vorgesehen und eine schriftliche Stimmabgabe im Voraus nicht möglich (ausser in einigen Kantonsparlamenten).

Covid 19 und was unser Leben sonst noch auf den Kopf stellt

Grundsätzlich sollte es möglich sein, an jeder Sitzung teilzunehmen. Ausnahmen gibt es nur wenige: Unerklärliche wie Herr Nationalrat Roger Köppel, der in der Legislatur 2015-2019 an insgesamt 1006 Abstimmungen fehlte* (Quelle: Studie von politik.ch) – und Erklärbare wie beispielsweise die Geburt des eigenen Kindes. Frauen im Mutterschaftsurlaub haben keine Möglichkeit ihr Amt auszuüben. Mütter können, wollen und sollen nicht für längere Zeit von ihrem Neugeborenen weg in der ersten Zeit nach der Geburt. Sie sind aber kerngesund.

Nun hat Covid19 unser Leben verändert. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in verordneter Quarantäne, weil Sie mit einem Corona-Patienten in Kontakt kamen. Unverschuldet können sie nicht an Ratssitzungen teilnehmen und sind von Beschlussfassungen ausgeschlossen.

Grossratssaal
Bildschirm im Grossratssaal: sind digitale Teilnahmen an Sitzungen eine Lösung? - z.V.g.

In unserem digitalen Zeitalter darf dies nicht passieren. Man könnte meinen, es gäbe keine Alternativen zu physischer Präsenz an Sitzungen. Dass es Alternativen gibt, wissen wir alle spätestens seit der Corona Pandemie. Wo Unternehmen schnell und ohne grosses Aufheben auf digitale Sitzungslösungen umgestellt haben, haben unsere Parlament einfach dicht gemacht. Wir konnten beobachten, wie die Ratssäle geschlossen blieben und keine Beschlüsse mehr gefasst wurden.

Parlamentarier und Parlamentarierinnen vom Abstimmen abzuhalten hat eine lange Tradition: William Wilberforce, der die Sklaverei in England abgeschafft hat, verteilte Anfang 19. Jahrhundert kurzerhand Freitickets für Pferderennen an die unerwünschten Parlamentarier, damit diese nicht zur entscheidenden Abstimmung erschienen. Das war mit ein Grund, warum dann 1807 der Slave Trade Act erfolgreich beschlossen worden ist. Das ist mehr als 200 Jahre her.

Wir brauchen pragmatische Lösungen

In der heutigen Zeit und angesichts der Corona-Epidemie sind Lösungen durch digitale Sitzungsteilnahme, Wanderurnen für die Stimmabgabe im Rat oder eine Stellvertretungsmöglichkeit wichtig. Für unsere Parlamente sollten jetzt pragmatische Lösungen her, damit gewählte Ratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen können – auch in aussergewöhnlichen Lebensmomenten. Ein solcher war die Geburt unseres vierten Kindes und ich bin darum im Mutterschaftsurlaub. Ich freue mich sehr darüber und werde mindestens eine oder zwei Einwohnerratssitzungen deswegen wohl verpassen.

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