Wie Amriswil dank einer Stadträtin zur Energiestadt wurde
Mit einer zehnjährigen Überzeugungsarbeit schreibt Barbara Bieger Tagebuch. Ein Spaziergang war der Weg dazu jedoch nicht. Aber sie hat den Stein damals ins Rollen gebracht und damit Pionierarbeit geleistet.
Seit 1976 erfasst sie täglich, was passiert, was sie beschäftigt. «Eine ganze Reihe an Büchern hat sich da schon angesammelt», sagt sie. Dank dieser Aufzeichnungen war es für sie aber ein Leichtes, herauszufinden, was damals, als sie neu in den Amriswiler (damals noch) Gemeinderat gewählt wurde, genau bestimmt und besprochen wurde.
Bieger war die Vorgängerin von Claudio Zaffonato und der heutigen grünen Stadträtin Sandra Reinhart. Sie war es auch, die das Thema Energiestadt in die Behörde getragen hat.
Gründung der Umweltkommission
Schon bei ihrer Kandidatur hat Bieger an das Energiestadt-Label gedacht und sich dieses für Amriswil zum Ziel gesetzt. Als ersten Schritt, oder erstes Teilziel wollte sie eine Natur- und Umweltkommission gründen, die es damals bei ihrem Eintritt in den Gemeinderat 1999 noch nicht gegeben hat. Kaum eingetreten, hat sie die Kommission zusammengestellt. Nach Vorgaben des Rates hatten Vertreterinnen und Vertreter des Gewerbes, der Schule, der Landwirtschaft und des Gemeinderates Einsitz.
Erstes Ziel der Kommission und ihrer Präsidentin: Endlich die Umsetzung des Natur- und Heimatschutzgesetzes auf Gemeindeebene. Dies sei auch der Grund gewesen, wieso sie überhaupt kandidiert hat.
Einzelne Projekte statt das Label
Die Idee, nach dem Label Energiestadt zu streben, verfolgte die frisch gewählte Gemeinderätin von Beginn an. «Allerdings damals ohne Chance», sagt sie. Da hiess es von ihren Kollegen, das würde nur viel kosten und es gebe schon viele solcher Energiestädte, das sei nichts Besonderes mehr. Man könne als Alternative ja einzelne Projekte umsetzen. «Ist ja auch ein Weg», dachte sich Bieger. Und sie behielt recht.
Neben der Umsetzung des Natur- und Heimatschutzgesetzes war es auch die Entwicklung des Wärmeverbundes Egelmoos, den die Kommission als Ziel sah. Am 20. Februar 2008 durfte Bieger als damalige Baukommissionspräsidentin Wärmeverbund das erste Feuer im Wärmeverbund entzünden. «Wider Erwarten und mit völliger Überrumpelung meinerseits wurde ich damals zur Präsidentin der Bauko Wärmeverbund gewählt», so die Alt-Stadträtin.
Auch das war für Bieger ein Schritt in Richtung Energiestadt. Obwohl das Label zu dieser Zeit noch nicht in greifbarer Nähe war. Dafür unterstützte der Stadtrat Projekte wie den Wärmeverbund. «Wir hatten mit Karl Spiess und Rolf Scheurer zwei treibende Kräfte im Team, die sofort Feuer und Flamme für das Projekt waren», sagt sie.
Und auch Kurt Egger, der heutige Nationalrat und damalige Energiefachmann vom Bundesamt für Energie, hat Bieger und ihre Kommissionskollegen unterstützt und beraten. Für den Wärmeverbund Egelmoos hat die Stadt Amriswil im Jahr 2008 schliesslich den Thurgauer Energiepreis in der Kategorie Sonne und Holz erhalten.
Fortschrittliches Denken
Immer im Hinterkopf behielt Bieger ihr Ziel, das Label zu erreichen und wusste, wenn eine Gemeinde einen Wärmeverbund nachzuweisen hat, wird dieser auch in der Bewertung für das Energiestadt-Label hoch gewertet und gibt wichtige Prozentpunkte. Die Vision eines wärmeautarken Amriswils stand dann im Raum, wurde geprüft. Ebenfalls ein zweiter Wärmeverbund.
Beide Projekte wurden als nicht umsetzbar bewertet. Für Bieger ein Fakt, aber kein Rückschlag. «Solche Ideen scheinen im ersten Moment vielleicht zu gross, man bewies damit aber schon damals fortschrittliches Denken», sagt Stadträtin Sandra Reinhart. Heute ist die Behörde verpflichtet, bei grösseren Bauprojekten wie zum Beispiel dem Werkhof zu prüfen, ob ein weiterer Wärmeverbund möglich wäre.
Auch das resultiert aus der Hartnäckigkeit der damaligen Kommission. Gerade aktuell mit der Ukrainekrise und den immer weiter steigenden Gaspreisen zeige sich zudem, dass ein langfristiges Denken rund um erneuerbare Energien der richtige und wichtige Weg sei.
Und dann wollte man das Label
Im September 2009 wurde schliesslich entschieden, dass das Energiestadtlabel angestrebt werden soll. Zehn Jahre nach Biegers erstem Einbringen. «Anscheinend war die Zeit erst dann reif dafür», sagt sie. In ihrem Tagebuch hat die Alt-Stadträtin eine Stelle gefunden, an der sie mit Alt-Stadtpräsident Martin Salvisberg über das Thema Energiestadt spricht und dieser meinte, die Kommission solle mit dem Anstreben vorwärts machen. Folgend wurde auch der Name der Kommission um das Wort «Energie» ergänzt, so dass sie fortan Energie-, Natur- und Umweltkommission (KENU) hiess.
Ein neues Ziel vor Augen
Am 16. Dezember 2009 fand die Bestandsaufnahme für den Erhalt des Energiestadt-Labels statt. Diese sogenannten Audits finden alle vier Jahre statt. Damit wird überprüft, ob die Stadt die immer ansteigenden Anforderungen erfüllt und damit das Label zuerst erhalten und dann behalten kann.
Jetzt wird das Goldlabel angestrebt
Heuer findet erneut ein Audit statt. Im November wurden dazu Vorgespräche geführt und eine Bestandsaufnahme gemacht. Dieses Mal geht es aber nicht nur darum, das Label zu behalten, sondern das Gold-Label zu erreichen. Bewertet wird nach einem Schema, das zeigt, was die Stadt heute schon macht und welche Ziele in den vergangenen vier Jahren erfüllt wurden.
Als Stärke wurde am ersten Audit 2009 neben dem Wärmeverbund unter anderem auch die energieeffiziente Strassenbeleuchtung, die Infrastrukturen, das Angebot des Stadttaxis oder die KENU bewertet. Als Handlungspotenzial wurde zum Beispiel eine Lückenanalyse der Fuss- und Velowege oder die Erhöhung des Anteils von Ökostrom beim Verbrauch erwähnt. Um das Label zu erhalten, waren 50 Prozentpunkte notwendig. Amriswil erhielt das Label mit 53 Prozent. Um das Goldlabel zu erhalten, sind jetzt 75 Prozentpunkte nötig.
An der Budgetversammlung 2010 präsentierte Bieger das Energiestadt-Label öffentlich und nutzte die Gelegenheit, auch gleich auf das nächste Ziel, die 2000-Watt-Gesellschaft hinzuweisen. 2011 trat Barbara Bieger als Stadträtin zurück. Ob Amriswil nun das Gold-Label erhält, wird noch dieses Jahr entschieden.