Bischof Büchel: «Die Kirche ist ein Ort, der Menschen Halt gibt»
Verbot von öffentlichen Gottesdiensten, Beerdigungen in kleinstem Kreis, Absage von Firmungen und Hochzeiten: Das Coronavirus hat auch das kirchliche Leben aus den Fugen gebracht. Der St. Galler Bischof Markus Büchel im Gespräch über das Vorgehen des Bundesrats, leere Bänke in den Kirchen und die wachsende Ungeduld der Gläubigen.
«Der ganze Lockdown ist aus heiterem Himmel gekommen», sagt der St. Galler Bischof gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Wir konnten uns nicht gross auf die Pandemie vorbereiten.» Die Kommunikation des Bundesrats habe er in dieser schwierigen Zeit als hilfreich erlebt, auch dass er mit einer Klarheit gesagt habe, was gelte.
Die Kirche sei anfangs in einer Schockstarre gewesen. Erst nach und nach habe man realisiert, was das für die kirchliche Planung heisse. Der Krisenstab des Bistums St. Gallen sei sofort eingesetzt worden. Die Auswirkungen der Corona-Krise hätten sich aber nicht gleich planen lassen, wie ein Feuer in der Kathedrale, sagt Büchel, der seit 14 Jahren im Amt ist.
Das vom Bundesrat erlassene Versammlungsverbot machte öffentliche Gottesdienste unmöglich. «Die diesjährige Fastenzeit hat uns in eine grosse Verbundenheit mit allen Menschen gebracht durch diese Epidemie», hatte Bischof Markus Büchel am Palmsonntag zu Beginn der «heiligen Woche» in einer Messe in der menschenleeren St. Galler Kathedrale gesagt.
Der erste Gottesdienst vor leeren Rängen sei «fast unerträglich und unwirklich» gewesen, sagt Büchel. Nach und nach hätten sich die Priester an die Kameras gewöhnt. Die Übertragungen der Gottesdienste seien sehr positiv aufgenommen worden. So konnten die Menschen zuhause an einer Liturgie teilhaben.
Schon vor der Coronakrise sei das Bistum St. Gallen im digitalen Zeitalter angekommen; von einzelnen Pfarreien würden für Menschen in Spitälern, in Alters- und Pflegeheimen Gottesdienste im Stream angeboten, sagt der 70-Jährige, der auf Reisen häufig auf dem Smartphone in einer Bibel-App liest.
Für Besucher sind die Kirchen weiterhin zugänglich. «Am Anfang war eine Angst da, sich ausserhalb der eigenen vier Wände zu bewegen», sagt Büchel. Er sei ihm selber auch so gegangen: «Die Stadt war wie ausgestorben. Das hat eine innere Spannung ausgelöst.» Deshalb seien die Leute froh gewesen, in einer Kirche einen Ort zu finden, der ihnen Orientierung und Halt gibt. «Man geht in die Kirche, um zu beten, eine Kerze anzuzünden oder ein Heiligenbild zu betrachten.»
In seinem Osterwort sprach der St. Galler Bischof von «Gottesdiensten des Alltags». Die Zeichen der Verbundenheit - ein Anruf an einen einsamen Menschen oder ein Botengang für jemanden der Risikogruppe - seien auch Formen von Gottesdienst. Er sei froh, dass gewisse Dinge wieder sichtbar geworden seien. Es gebe in der Schweiz eine verborgene Armut, sagt Büchel: «Es hat mich schockiert, dass in Genf 2500 Menschen in einer Schlange anstehen müssen, um ein Lebensmittelpaket zum Überleben zu bekommen.»
Das Begleiten und der Abschied von sterbenden Menschen sei durch den Lockdown schwierig geworden. «Das war wohl einer der grössten Einschnitte, den die Coronakrise für die Kirche mit sich brachte», so Büchel. Hier sei die Begleitung der Angehörigen sehr wichtig gewesen. Neben Beerdigungen waren auch viele Kirchenfeste wie Hochzeiten und Firmungen untersagt.
Büchel nimmt bei vielen Gläubigen eine zunehmende Ungeduld und Enttäuschung wahr: «Es geht in eine neue Phase der Lockerung, und von der Kirche spricht niemand.» Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) macht nun Druck. Sie hat am vergangenen Dienstag dem Bundesrat einen Brief geschickt, worin um die Zulassung von öffentlichen Gottesdiensten ab dem 21. Mai (Christi Himmelfahrt) ersucht wird. Die Forderungen betreffen auch andere Religionen und sie seien mit dem Schweizerischen Rat der Religionen abgesprochen, sagt Büchel.
Das Bistum St. Gallen hat vor zehn Tagen ein eigenes Schutzkonzept für öffentliche Gottesdienste erlassen. Priester, die hinter Plexiglasscheiben predigen, werde es aber nicht geben. Der Abstand zu den Gläubigen könne gut eingehalten werden.
Bei der Austeilung der Kommunion sieht das Konzept vor, dass sich die Kommunionspender vorher die Hände desinfizieren müssen. Die Weihwasserbecken bleiben bis auf Weiteres leer und jedem Gläubigen steht mindestens eine Fläche von vier Quadratmetern zur Verfügung.
Der St. Galler Bischof freut sich darauf, die Menschen wieder live zu sehen. Auch den ersten Restaurantbesuch habe er genossen. Der persönliche Kontakt sei ganz wichtig. «Ich hoffe, wir haben nicht verlernt, wie wichtig es ist, dass wir einander begegnen können.»