«Jakobs Ross» zeigt eine Beziehung zwischen Zwang und Befreiung
Silvia Tschuis Buch «Jakobs Ross» wurde adaptiert und ist demnächst im Kino zu sehen.
«Jakobs Ross» ist ein Roman von Silvia Tschui. Nun kommt die Verfilmung in die Kinos. Regisseurin Katalin Gödrös hat die Geschichte vom Kampf einer jungen Frau um Selbstbestimmung im 19. Jahrhundert in ein ergreifendes und modernes Beziehungsdrama verwandelt.
Als die Magd Elsie (Luna Wedler) vom Hausherr schwanger wird, verheiratet sie dieser – um seine Vaterschaft zu vertuschen – mit Knecht Jakob (Valentin Postlmayr). Die Zwangsvermählten tragen ihr Schicksal mit Fassung, verbindet sie doch immerhin das Streben nach einem lustvolleren, besseren Leben. Elsie will als Musikerin durch die Welt tingeln, Jakob wünscht sich nichts sehnlicher als ein Pferd, mit dem er ein eigenes Kutscherunternehmen aufbauen und viel Geld verdienen kann.
Doch vorerst führen die beiden auf einer ärmlichen Pacht ein von Härte und Ungnade geprägtes Leben. Mit der Schwangerschaft, aus der Jakob irgendwann Profit ziehen möchte, läuft es nicht so, wie es sollte. Nur dank ihrer Begegnung mit dem Jenischen Rico (Max Hubacher) schöpft Elsie neue Hoffnung und die Kraft, um weiter für den Traum vom Künstlerinnenleben zu kämpfen.
Als Katalin Gödrös die Romanvorlage aus dem Jahr 2014 zum ersten Mal las, war sie fasziniert von der Düsternis, der Bildgewalt und der Sprache. Von der «Tschui-Sprache», wie sie die ganz eigene, verschriftliche Mundartform Tschuis im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA nennt.
Drehbuch schrieb Urs Bühler
Darüber hinaus berührten die in Berlin lebende Schweizer Filmemacherin die Parallelen zwischen der Hauptfigur und ihrer eigenen Grossmutter. Diese war kurz davor im Alter von 102 Jahren gestorben. Eine Pianistin, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen, denen sie durch eine Heirat mit einem Professor unbedingt entkommen wollte. Eine Frau, die der Wunsch nach finanzieller Sicherheit und der gleichzeitige Drang, ein Künstlerinnenleben zu führen, ein Leben lang innerlich zerriss.
Obwohl es nahe lag, wollte Katalin Gödrös «Jakobs Ross» nicht als Emanzipationsgeschichte erzählen. Viel lieber schälte sie aus der Romanvorlage die Beziehung zwischen Elsie und Jakob heraus. Das Drehbuch schrieb Urs Bühler.
Die Verfilmung legt den Fokus also auf den Umgang der Eheleute mit ihrer Zwangsheirat, auf ihre unerfüllten Träume und welcher von beiden denn nun wichtiger oder «systemrelevanter» ist, wie Gödrös sagt. Kunst versus Wirtschaft, auch das eine aktuelle Debatte, die aufzugreifen der Regisseurin am Herzen lag.
Einen Teilaspekt aus der Originalgeschichte picken und daraus eine eigene Geschichte spinnen – das ist es, was Katalin Gödrös unter einer lohnenden Literaturverfilmung versteht. Sie arbeitet neben dem Filmemachen als Professorin an der Internationalen Filmschule Köln. «Wir wollten nicht einfach das Buch bebildern, sondern etwas Neues schaffen», sagt sie. «So, als würde der Buchvorlage ein eigener Organismus entwachsen.»
Verfilmen von Büchern eine «heikle Angelegenheit»
Ausserdem habe man mit besonders viel Liebe auf den Pluspunkt gesetzt, der dem Buch naturgemäss fehlt: die Musik. Wedlers Gesang und ihr Örgelispiel tragen viel zur mystischen Atmosphäre, zur Magie des Films bei. Ja, Elsie spielt Handorgel, nicht Geige, wie im Buch. «Das hat einen pragmatischen Grund», verrät die Filmemacherin. «Luna Wedler so Geige spielen zu lassen, dass man ihr ihre Virtuosität abnimmt, wäre unmöglich gewesen.» Auch sei die Instrumentenwahl eine weitere Referenz auf Gödrös’ Grossmutter. «Sie hat ebenfalls Akkordeon gespielt.»
Ein Instrument zu wechseln, ist das eine. «Jakobs Ross», der Film, unterscheidet sich auch in anderen Belangen von seiner Vorlage. Katalin Gödrös hält das Verfilmen von Büchern für eine «heikle Angelegenheit». Deshalb habe sie den Austausch mit der Schöpferin der Geschichte gesucht.
Es folgte eine positive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansichten. Ein Beispiel: Die Regisseurin wollte aus dem dunkelhaarigen Jenischen im Buch einen Blonden mit blauen Augen machen. Ein politisches Anliegen, denn mit dieser Änderung sollte deutlich werden, dass Jenische auch «Menschen aus der Schweiz, aus unserer Mitte sind», so Gödrös. Und nicht, wie hierzulande viele denken, Roma oder Sinti mit vorwiegend dunklen Augen und dunklen Haaren. Die Figur Rico, ein Junge aus dem Nachbardorf, ist übrigens vom bekannten Schwyzerörgelispieler und Jenischen Joseph «Sepp» Mülhauser inspiriert.
«Jakobs Ross» startet am 18. Januar in den Deutschschweizer Kinos. Parallel dazu ist der Film an den 59. Solothurner Filmtagen (17.-24.1.) zu sehen und dort für den «Prix Public» nominiert. Zu Recht. Gödrös nimmt das Publikum mit auf eine faszinierende, herausfordernde Reise – und mutet auch den Figuren viel zu. Ihre Interpretation von «Jakobs Ross» wühlt auf und berührt. Sie weckt Hoffnung und gibt Kraft, die Welt zu verändern.*