Jack White: Lang lebe der Gitarrenrock
Vor 25 Jahren erfand Jack White den krachigen Garagen-Blues quasi neu. Inzwischen macht er hyperaktiv weiterhin sehr erfolgreiche Band- und Soloalben. Material hat er genug.
Das Wichtigste in Kürze
- Sein stadiontaugliches Gitarrenriff aus «Seven Nation Army» kennt wohl jeder Rock-Fan (und fast jeder Fussballfreund).
Zwölf Grammys bezeugen, dass Jack White längst mit mindestens einem Bein im erweiterten Pop-Mainstream steht.
Und doch bleiben seine Alben abenteuerlich - vieles begeistert, manches irritiert, einiges nervt. Das macht auch den Reiz des aktuellen Werks «Fear Of The Dawn» aus.
Es ist in diesem Jahr die erste von gleich zwei neuen Soloplatten des hyperaktiven Bluesrock-Neuerfinders (mit den White Stripes von 1997 bis 2011), Vinyllabel-Betreibers (Third Man Records) und Bandmusikers (The Raconteurs, The Dead Weather). Der zweite Streich «Entering Heaven Alive» soll dann am 22. Juni folgen.
Zwar klingen die «Fear»-Songs nicht mehr so sperrig wie der wüste Stil-Mischmasch von «Boarding House Reach» (2018), der gleichwohl wie die Vorgänger «Blunderbuss» (2012) und «Lazaretto» (2014) Platz eins der US-Charts erreichte. Doch auch mit den zwölf enorm druckvoll produzierten neuen Tracks bewirbt sich White, inzwischen fast 47 Jahre alt, nicht um Softie-Schönheitspreise.
Dagegen spricht schon seine schneidende, oft ins Hysterische kippende, dann sehr an Robert Plant (Led Zeppelin) erinnernde Gesangsstimme. In «Hi De Ho» teilt er sich die Vocals mit dem Rapper Q-Tip von A Tribe Called Quest - ebenfalls eine reichlich schräge Angelegenheit.
Er lässt es krachen
Und als gäbe es nicht schon seit längerem einen hitzigen Streit von Popkritikern über die Relevanz von lautem Gitarrenrock, lässt der Mann aus Detroit/Michigan sein Instrument hier wahlweise knattern, verzerrt krächzen oder wild aufjaulen. Vom grossartigen Opener «Taking Me Back» an (mit einem Riff der Extraklasse wie in «Seven Nation Army»!) wird hemmungslos drauflos gerockt. Etwas Ruhe kehrt erst mit dem abschliessenden Midtempo-Groove von «Shedding My Velvet» ein.
Für Fans experimentierfreudiger Sechssaiter-Sounds ist «Fear Of The Dawn» also ein Fest, das Album dürfte Jack Whites Status als einer der weltbesten Gitarristen nochmals verbessern. Ob man so eine leidenschaftlich wertkonservative Rockmusik heute noch braucht? Nächste Frage. White glaubt jedenfalls an die Zukunft seines Genres, wie er dem US-«Rolling Stone» zu Protokoll gab.
Heavy und sanft
«Entering Heaven Alive» soll im Sommer übrigens ganz anders klingen. «Eine Samstagnachtplatte und eine Sonntagmorgenplatte» - das sei sein Ziel gewesen, erzählt der Multiinstrumentalist in einem Gespräch mit dem deutschen «Rolling Stone». «Ich hatte bis Ende 2021 so viele Songs geschrieben, die sich fast von selbst in zwei Gruppen aufgeteilt haben. Ein Doppelalbum wollte ich aber nicht machen - da denken die Leute sofort, da wäre Füllmaterial drauf. Also lieber zwei einzelne Alben - eins ist richtig heavy, eins ganz sanft.»
White spielte die zwei Dutzend neuen Lieder wieder mal weitgehend allein ein - nach altem Indierock-Dogma innerhalb kurzer Zeit. «Ich bin der Posterboy des schnellen Aufnehmens, seit 20 Jahren», sagt er dazu. «Manche Leute halten mich deshalb für prätentiös oder arrogant. Aber ich werde niemals sechs Monate lang an einem Album arbeiten, das ist lächerlich. Das war schon bei den White Stripes so.»
Apropos White Stripes - das ikonische Garagen-Punk- und Bluesrock-Duo mit seiner Ex Meg am Schlagzeug hatte eine ganz eigene Farbphilosophie, es beschränkte sich bei den Cover-Artworks auf Rot, Weiss und Schwarz. Jack Whites Solojahre schillern nun ähnlich konsequent: leuchtend blau. Da macht auch die Optik von «Fear Of The Dawn» (bis hin zum Haarschopf) keine Ausnahme. Er bleibt halt ein bunter Vogel mit Stil.