Literaturnobelpreise für Peter Handke und Olga Tokarczuk
Die beiden Preisträger sind sprachlos und gerührt: Nach dem Skandal des Vorjahres feiert der Literaturnobelpreis ein doppeltes Comeback.
Das Wichtigste in Kürze
- Doppelte Auszeichnung für die mitteleuropäische Literatur: Der österreichische Schriftsteller Peter Handke und die polnische Autorin Olga Tokarczuk werden mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Handke erhält den Preis für das Jahr 2019, die Polin Tokarczuk wird mit dem nachgeholten Preis 2018 geehrt, der wegen eines Skandals bei der Schwedischen Akademie ausgefallen war.
Die Preise werden am 10. Dezember in Stockholm verliehen. Neben der prestigeträchtigen Nobelmedaille und einer Urkunde erhalten die beiden Gewinner ein Preisgeld von jeweils neun Millionen schwedischen Kronen (rund 830.000 Euro). Zuletzt war der Literaturnobelpreis 2017 dem in Japan geborenen Briten Kazuo Ishiguro zugesprochen worden.
Dem neuen Ständigen Sekretär der Akademie, Mats Malm, steht die Anspannung sichtlich ins Gesicht geschrieben, als er die Preisträger am Donnerstag zunächst auf Schwedisch, dann auf Englisch verliest. Der 76-jährige Handke wird dafür geehrt, dass er mit seiner Arbeit «mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht hat».
Der Österreicher habe sich seit seinem 1966 erschienenen Debütroman «Die Hornissen» mit Werken in verschiedenen Genres als einer der einflussreichsten Schriftsteller der europäischen Nachkriegszeit etabliert, sagt der Vorsitzende des Nobelkomitees, Anders Olsson. Von Handke stammen Werke wie «Publikumsbeschimpfung», «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» und «Der Himmel über Berlin».
Die 57-jährige Tokarczuk erhält die Auszeichnung, weil sie mit erzählerischer Vorstellungskraft und enzyklopädischer Leidenschaft Grenzen überschreite. Die Autorin betrachte die Wirklichkeit nie als ein stabiles und immerwährendes Konstrukt, in ihren Romanen stünden sich oft Gegensätze gegenüber, etwa Natur und Kultur oder Mann und Frau. Ihr bislang grösstes Werk ist nach Ansicht der Juroren «Ksiegi Jakubowe» (Die Jakobsbücher) aus dem Jahr 2014.
«Ich bin sowohl glücklich als auch überrumpelt», sagte Tokarczuk der schwedischen Zeitung «Dagens Nyheter». «Ich bin sehr stolz, dass diese beiden Preise nach Mitteleuropa gehen. Das zeigt, dass wir Mitteleuropäer - Peter Handke ist ja in Österreich geboren - etwas zu sagen haben und dass unsere Literatur so stark ist, dass sie den Nobelpreis wert ist.» Auf Facebook schrieb sie: «Literaturnobelpreis! Sprachlos vor Freude und Rührung.»
Auch Handke sei bei dem Anruf aus Stockholm fast sprachlos und sehr gerührt gewesen, verriet Olsson. Der österreichischen Nachrichtenagentur APA sagte Handke, seine Freude sei als Preisträger aber auch als Leser gross. «Wenn dann das Nobelkomitee so entscheidet, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltliteratur was bedeutet.» Mit seiner Frau wolle er zur Feier des Tages noch für ein Abendessen in ein kleines Lokal in Chaville südwestlich von Paris gehen.
Die erste österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (2004) reagierte begeistert auf Handkes Ehrung: «Grossartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen», teilte sie der österreichischen Nachrichtenagentur APA mit.
Auch die österreichische Bundesregierung gratulierte. «Diese grosse Auszeichnung ist höchst verdient & eine würdige Anerkennung für ein literarisches Ausnahmetalent», twitterte Regierungssprecher Alexander Winterstein. Der Schweizer Büchner-Preisträger Adolf Muschg sagte dem Radiosender SRF1, er rechne es dem Nobelkomitee hoch an, dass Handkes Literatur gewürdigt und seine politische Haltung sowie die «gewisse Macho-Komponente» in den Hintergrund gerückt würden.
Der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei ein grosser Tag für die Literatur. Die Entscheidung sei mutig. Angesichts der Auszeichnung von Handke, der ein grosser Provokateur sei, sagte er: «Die politische Korrektheit hat eine krachende Ohrfeige erhalten.» Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) würdigte Handke als «einen der wichtigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren», er sei «ein grosser Sprachkünstler und Sprachtüftler, der gerade in den kleinen Dingen oft die grosse Welt findet».
Der Kulturchef von «Dagens Nyheter», Björn Wiman, würdigte dagegen besonders den Preis für Tokarczuk: Ihr Werk sei fantastisch zu lesen. Handke stehe er dagegen zwiespältiger gegenüber. Schriftsteller David Lagercrantz meinte, man hätte etabliertere Autoren als Handke wählen können. Nach Ansicht ihres Schweizer Verlegers Daniel Kampa bekommt das Werk von Olga Tokarczuk «nun endlich weltweit die Beachtung, die es verdient». «Poetisch, politisch, realistisch, mythisch, philosophisch, märchenhaft – Tokarczuks Geschichten beleuchten die zahllosen Facetten des menschlichen Daseins, ob in Gegenwart oder Historie.» Der polnische Präsident Andrzej Duda schrieb auf Twitter: «Ein grosser Tag für die polnische Literatur».
Die Akademie hofft, mit der Doppel-Vergabe ein skandalbelastetes Jahr hinter sich lassen zu können. Beide Preisträger hätten telefonisch versichert, zur Verleihung nach Stockholm zu kommen, sagte Olsson. Nach den Negativschlagzeilen des Vorjahres hatte man sich gesorgt, einer der Preisträger könnte die Auszeichnung ablehnen. Die Akademie war Ende 2017 nach einem Skandal um sexuelle Übergriffe und Belästigung in eine tiefe Krise gestürzt. Dies führte dazu, dass die Vergabe im Vorjahr ausfiel und auf dieses Jahr verschoben wurde.
Nobelpreisfavoriten wie die Kanadierinnen Anne Carson und Margaret Atwood sowie der Japaner Haruki Murakami gingen zum wiederholten Male leer aus. Stattdessen nehmen nun und den Nobelpreis am 10. Dezember in Stockholm in Empfang.