Malen bis zum Umfallen - Sighard Gille wird 80
Sighard Gilles grösstes Bild, ein Deckengemälde im Leipziger Gewandhaus, schlägt Michelangelos Sixtinische Kapelle in den Ausmassen locker. Der Künstler wird 80 - und noch immer wächst der Umfang seines Gesamtwerks.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Leipziger Maler Sighard Gille kommen nicht nur Kunstfreunde nicht vorbei - sondern auch Musikliebhaber und etliche Touristen.
Sein monumentales Gemälde «Gesang vom Leben» ziert die Decke im Foyer des berühmten Gewandhauses in Leipzig.
Durch die grossen Glasfronten ist es auch für Vorbeispazierende von aussen gut zu sehen. Das monumentale 714 Quadratmeter grosse Kunstwerk wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Sein Schöpfer Gille, der in Leipzig und häufig auch in seinem Zufluchtsort im brandenburgischen Warnau wohnt, feiert am 25. Februar seinen 80. Geburtstag.
Ans Aufhören denkt er deswegen noch lange nicht. Sein Atelier auf einem ehemaligen Werksgelände in Leipzig ist vollgestellt mit aktuellen Bildern. Landschaften, Porträts, auch abstraktere Werke. Gille gilt als äussert produktiv, fotografiert auch und arbeitet plastisch. «Ich will malen, am besten bis zum Umfallen. Umfallen vor der Staffelei - das wäre doch ein schöner Tod für einen Maler», sagt Gille, und es klingt nicht unbedingt wie ein Scherz.
Sein Handwerk hat er an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) gelernt. Von 1965 bis 1970 studierte er Malerei unter anderem bei den beiden grossen Repräsentanten der Malerei in der DDR, Bernhard Heisig (1925-2011) und Wolfgang Mattheuer (1927-2004). Wenn er von Heisig spricht, sagt er oft «der Professor». Gille wurde sein Assistent. Beide verband auch privat Einiges - wie etwa die Liebe zum Havelland als Rückzugsort.
Anfang der 70er Jahre habe er dort eine alte Bauernkate gekauft, erzählt Gille. 9000 Mark habe sie gekostet - eine Summe, die er als junger Mann gar nicht gehabt habe. «Bernhard Heisig hat mir Geld gegeben, ohne irgendwelche Zinsen.» Heisig wohnte am Ende seines Lebens in Brandenburg. Gille fährt so oft er kann nach Warnau. Dann packt er eine selbst gebaute Malkiste ein, in der mehrere Leinwände sicher verstaut werden können. «Sobald es zeitlich möglich ist, fahre ich da hin und male draussen, wenn das Wetter es zulässt.»
Gille zählt wie Arno Rink zur zweiten Generation der Malerei der Leipziger Schule - zwischen Heisig und Mattheuer und den jüngeren Künstlern wie Neo Rauch, auf die sich nach 1990 die Kunstkritik besonders begeistert stürzte. Gilles Atelier liegt per Luftlinie kaum einen Kilometer entfernt von der Spinnerei, wo Rauch arbeitet. Aber allzu viele Berührungspunkte gebe es nicht, sagt Gille. «Die Spinnerei ist mir relativ fern.»
An den «Riesenhype» um die Malerei der Neuen Leipziger Schule nach dem Mauerfall erinnert er sich mit einem Kopfschütteln. «Damals gab es weltweit ein Interesse daran, Geschichten, Gegenständlichkeit, Figürlichkeit zu sehen.» Nicht nur in Leipzig, aber vor allem dort habe es einen grossen Fundus gegeben. Oder, wie Gille es ausdrückt: «Es gab was zu holen.» Internationale Sammler hätten unbesehen ganze Kisten mit Werken davongetragen. Hauptsache es habe «New Leipzig School» drauf gestanden.
Er selber arbeite lieber für sich, ohne Kollegen um sich. «Es muss ja nicht sein, dass man sich auf die Füsse tritt.» Auf diese leise Art hat Gille ein riesiges Werk geschaffen. 2016/2017 zeigte das Museum der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig eine umfassende Retrospektive. Dazu gab es einen Katalog, der Gilles Schaffen dokumentiert. Rund 1200 Bilder sind darin verzeichnet. Seitdem sind noch etliche dazugekommen.
Jan Nicolaisen, Chefkurator für Malerei am MdbK, bescheinigt Gille eine grosse malerische Kraft. Über die Jahre habe er sich immer mal wieder neu erfunden und unterschiedliche Handschriften innerhalb seines Oeuvres entwickelt. «Er ist lebendig in seiner Malerei, und ich denke, er vertritt bis heute eine sehr vitale Position.»
Gille hofft, dass er demnächst eine Ausstellung in der Galerie Bassi in Remagen realisieren kann. Je nachdem, ob es die Corona-Pandemie zulässt, ist die Eröffnung am 21. März geplant. Ganz abgeschlossen sei die Auswahl der Bilder noch nicht, sagt er. «Ich hänge an jedem Bild wie an einem Kind. Ich gebe sie nur ungern weg und muss mich immer überwinden, wenn jemand was kaufen will.»