Multikulti-Pop aus Nordhessen: Das Erfolgsduo Milky Chance
Mit einem Singlehit aus dem Kinderzimmer ging's los. Das Pop-Duo Milky Chance aus Hessen hat seitdem einen Lauf: Clemens Rehbein und Philipp Dausch produzieren Electro-Beats, Folk und Reggae für die grosse weite Welt.
Das Wichtigste in Kürze
- Ihr Debütalbum «Sadnecessary» kam 2013 auf Platz 14 der deutschen Charts, in den USA auf Rang 17.
Kein schlechter Start für ein junges Duo, das seine ersten Lieder wie den Singlehit «Stolen Dance» im Kinderzimmer ertüftelt hatte.
Und Milky Chance blieben mit millionenfach verkauften und geklickten Songs am Drücker. «Blossom» (2017) knackte hierzulande die Album-Top-Ten, es gab Goldene oder Platin-Schallplatten und andere hohe Auszeichnungen für Deutschlands heissesten Pop-Export. Sänger/Gitarrist Clemens Rehbein und Multiinstrumentalist Philipp Dausch aus Kassel - Jugendfreunde und Frontleute des im Konzert vierköpfigen Bandprojekts - gelten seither als Selfmade-Musiker mit einem goldenen Händchen für perfekte Sommerhits.
Folk, Reggae, Afropop und Electro-Beats fliessen auch auf der dritten Milky-Chance-Platte «Mind The Moon» (Vertigo/Universal) zu einem eingängigen Multikulti-Sound zusammen. Gastauftritte des australischen Singer-Songwriter-Talents Tash Sultana in «Daydreaming» und der südafrikanischen A-cappella-Truppe Ladysmith Black Mambazo (legendär spätestens seit Paul Simons Welterfolg «Graceland» von 1986) zeigen, wie anerkannt die beiden gerade erst 27-Jährigen aus dem nördlichen Hessen längst sind.
Ein taufrischer Crossover-Dance-Track wie der Opener «Fado» könnte sogar Madonna neidisch werden lassen, die mit dick aufgetragenen Portugal-Klischees zuletzt Ähnliches versucht hatte. Auch danach stört kein zweifelhaft-krampfiges Experiment, keine billige Angeberei die angenehme, freundliche Atmosphäre dieser smarten Mainstream-Pop-Scheibe.
Die sieben Jahre seit dem Start von Milky Chance kurz vor dem Abitur der beiden Musiker waren «eine total intensive Zeit, die wir mit viel Überforderung bewältigt haben», wie Dausch im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Berlin erzählt. Jetzt sei man gerüstet fürs globale Pop-Business.
Mit ihrer eher geringen namentlichen Bekanntheit kommen beide gut klar: «Es ist eine angenehme Art von Ruhm», sagt Rehbein. «Er engt nicht ein, denn es gibt nicht diesen hysterischen Personenkult.» Sowieso sind sie stolz auf eine offenbar sehr sympathische Fan-Base: «Das sind sehr liebe Menschen», sagt Dausch. Und Sänger Rehbein fügt hinzu: «Sie geben uns viel Gutes zurück. Man hört ja dauernd von Shitstorms - also wir kriegen nicht viel Shit ab.»
Mit der dann doch wohl unvermeidlichen Kritik an ihrer leichten, kommerziellen, unpolitischen Musik können beide nach eigener Einschätzung gut umgehen: «Wir wissen, was wir an unserer Musik haben. Wer kritisiert, dass sie nicht politisch ist, der hat ja recht - dann hört er eben lieber Die Ärzte. Das ist völlig okay.»
Der Traumstart mit den ersten Studioplatten war für Dausch und Rehbein «eine Riesenüberraschung». Nun versuchen die beiden immer noch jungen Künstler, sich den hohen Erwartungsdruck für Album Nummer drei vom Halse zu halten. «Ein Angstgefühl gibt es nicht - eher ein Gefühl der Dankbarkeit für das, was wir schon erreicht haben», sagt Dausch.
Zumal Milky Chance, die sich gleichermassen als «Beat-Produzenten im elektronischen Bereich» und als Singer-Songwriter sehen, mit den lässigen Pop-Hooks von «Mind The Moon» eine Bestätigung des Erfolges gelungen zu sein scheint. Zudem schaffen sie mit ihren Gästen neue Aha-Effekte.
«Tash Sultana haben wir in Australien kennengelernt, als wir beim gleichen Festival spielten. Dann haben wir sie bei Lollapalooza in Südamerika wiedergetroffen und uns angefreundet», erinnert sich Rehbein. Für die Aufnahme des gemeinsamen Songs «Daydreaming» flog man schliesslich nach Melbourne.
Dass Milky Chance gern «zwei Welten verbinden», hört man auch beim Lied «Eden's House» mit den mächtigen Chorstimmen von Ladysmith Black Mambazo. «Deren Arrangements haben wir schon gemeinsam im Chor gesungen. Es war also quasi ein Kindheitstraum, mit ihnen etwas zu machen, und wir haben einfach mal angefragt», erzählt Clemens Rehbein.
Milky Chance spielen als Duo schon «seit der 11. Klasse zusammen», sagt der Sänger. «Das erste Album enthielt Songs, die ich im letzten halben Jahr unserer Schulzeit entwickelt habe.» Die Vorbilder sind zahlreich - und sehr unterschiedlich: The Tallest Man On Earth, Bob Marley, Ray Charles, Jack Johnson, John Frusciante, neben Rock und Pop auch Reggae, Blues und Jazz. «Es geht alles Hand in Hand und ist bunt gemischt», betont Dausch. «Eine wilde musikalische Reise, von einem Genre ins andere.»
«Mind The Moon» wollen die beiden nun wieder mit ihren bewährten Mitstreitern Antonio Greger (Gitarre, Mundharmonika) und Sebastian Schmidt (Schlagzeug) auf die Bühne bringen. Dass das Album mit seinem sommerlichen Sound dieses Jahr etwas verspätet erscheint, stört sie nicht: «Die Platte hat jetzt ein bisschen Anlauf für den nächsten Sommer. Und bei unserem Tourstart demnächst in Australien ist dort ja auch gerade Sommer.»
Ach ja, zuguterletzt noch: Was bedeutet der Bandname? «Der war schon vor unserem Projekt da», sagt Rehbein. «Den habe ich mir ausgedacht. Man kann ihn gut aussprechen, er hat aber keine wirkliche Bedeutung.» Später sei beiden aufgefallen, dass sich Milky Chance auf «Stolen Dance» reimt, den Titel des ersten Hits.
Man spürt: Die beiden sympathischen Kasseler Jungs sind mit sich, ihrer Musik und ihrem sensationellen internationalen Erfolg im Reinen. Gute Voraussetzungen für eine Karriere, die mehr ist als ein kurzlebiges «One-Hit-Wonder».