Neues Berufsfeld «Intimitätskoordinator»: So werden Sexszenen sicher
Das Wichtigste in Kürze
- Katja Weitzenböck arbeitet als Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin.
- Im Interview berichtet die 55-Jährige von ihrem neuen Job.
Sie spielt Theater, trat in internationalen Filmproduktionen auf und ist dem deutschen Fernsehpublikum wohlbekannt. Neben ihrer Schauspielkarriere betreut Katja Weitzenböck (55) seit einigen Jahren auch als sogenannte Intimitätskoordinatorin Liebes- und Sexszenen bei Filmproduktionen. Alles über den neuartigen Beruf verriet Weitzenböck der Nachrichtenagentur spot on news im Interview.
Im Zuge der MeToo-Bewegung ging vor fünf Jahren ein Aufschrei durch die Filmbranche. Wie entstanden früher, vor MeToo, Liebes- und Sexszenen bei Filmdrehs?
Katja Weitzenböck: Liebesszenen wurden als selbstverständlicher Bestandteil der Schauspielarbeit erachtet. Im Gegensatz zu Gewalt- oder Actionszenen, für die gab es schon damals eine Stunt-Koordination. Dass auch intime Szenen eine Gefahrenlage darstellen könnten, daran wurde nicht gedacht.
Wie sind sie selbst – neben Ihrer Schauspielkarriere – zur Intimitätskoordination gekommen?
Weitzenböck: Zur Intimitätskoordination bin ich im Corona-Lockdown gekommen. Ich sah eine Netflix-Serie – Binge-Watching in Corona-Times – und mir fielen die besonders aussagekräftigen intimen Szenen auf. Da dachte ich: Das ist ja wirklich toll, was die jenseits von Worten zum Ausdruck bringen.
In der Recherche zum Hintergrund stiess ich auf diesen neuen Beruf, die Intimitätskoordination, und dachte: Das ist ja fantastisch. Das will ich machen. Die deutsche Schauspielergewerkschaft BFFS bot etwas später eine Fortbildung dazu an, die ich absolviert habe.
Was macht ein Intimacy Coordinator?
Weitzenböck: Als Intimitätskoordinatorin betreue ich simulierte intime Szenen mit sexuellen Inhalten oder sexualisierter Gewalt im Auftrag der Produktion. Bei meiner Arbeit orientiere ich mich an verschiedenen Grundprinzipien. Im Prinzip geht es darum, offene Fragen zu stellen, zu kommunizieren, aufzuklären und alternative Lösungsvorschläge anzubieten für das Storytelling.
Wie läuft das ganz praktisch ab?
Weitzenböck: Der Grossteil der Arbeit als Intimitätskoordinatorin besteht in der Vorbereitung. Gemeinsam wird eine Liste der professionellen Grenzen der Darsteller erstellt. Das mündet dann in einem gemeinsamen Erarbeiten der physischen Handlungen vor dem Drehbeginn. Das Ganze ist ein ganz bewusst entsexualisierter, technischer Rahmen.
Am Drehtag selber sind Sie dann auch am Set?
Weitzenböck: Ja, bin ich. Dann machen wir die sogenannte Boundary-Practice, auch Grenz-Check genannt. Die Spielpartner stellen sich voreinander und zeigen, wo sie dem anderen gestatten, sie anzufassen.
Am Set bin ich als Intimitätskoordinatorin die Mittlerin. So muss die Schauspielerin, der Schauspieler die Grenze vor dem Regisseur nicht selbst ziehen, was auch einen Stress bedeuten würde.
Sie wollen mit Ihrer Arbeit neue Vorbilder für das Publikum erschaffen. Wie könnten diese aussehen?
Weitzenböck: Ein Stichwort sind hier überflüssige Nacktszenen, die keine Notwendigkeit beim Erzählen der Geschichte haben. Als Intimitätskoordinatorin versuche ich in den Vorgesprächen mit der Regie immer zu fragen: Warum willst du Nacktheit erzählen? Was soll sie erzählen?
Eine andere Möglichkeit, neue Vorbilder zu schaffen, ist die Gleichwertigkeit der Spielpartner. Keiner der beiden Partner soll objektiviert werden. Natürlich kann man auch versuchen, das klassische Modell des «Male Gaze» umzudrehen und den Mann spielerisch zum Objekt zu machen.
Hinken wir hier in Deutschland der Entwicklung hinterher, was Intimitätskoordination angeht?
Weitzenböck: Ja. Bis meine Gruppe jetzt in der Fortbildung ausgebildet wurde, gab es in Deutschland kaum eine ausgebildete Intimitätskoordinatorin.