Sandra Maischberger über Zwangsverheiratungen
Gerade erst feierte der Film in New York Premiere - nun kommt «Nur eine Frau» in die Kinos. Das Drama über den Mord in einer deutsch-türkischen Familie wurde von Sandra Maischberger produziert. Die 52-Jährige hat mit dem Film viel vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Sandra Maischberger moderiert eine ARD-Talkshow - aber sie produziert auch Filme.
Nun kommt «Nur eine Frau» ins Kino, ein Spielfilm über die Ermordung der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü.
Hatun Sürücü wurde 2005 von einem ihrer Brüder in Berlin erschossen. Ein Fall, der manche aufgerüttelt hat, wie Maischberger im Interview der Deutschen Presse-Agentur sagt. Ein Gespräch über Religiosität, Hingucken und ihre Pläne an Schulen.
Frage: Frau Maischberger, der Mord an Hatun Sürücü 2005 hat viel Aufsehen erregt. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Antwort: Ich habe den Fall damals verfolgt. Und ich weiss, dass es für eine Menge Leute ein Aufwachen war, ein Schlaglicht auf eine Sache, die wir alle vielleicht bis dahin zu wenig gesehen haben. Nämlich dass es in einer modernen Stadt wie Berlin in den 2000er-Jahren möglich ist, dass nebenan Traditionen gelebt werden, die mit unserer Auffassung von Menschenrechten, Frauenrechten und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben nicht überein kommen.
Frage: Hat man aus Ihrer Sicht also zu wenig hingesehen?
Antwort: Ich habe mit Religiosität ganz wenig zu tun. Ich bin der Meinung, dass jeder leben und glauben sollte, wie und was er möchte, solange er nicht anfängt, anderen Vorschriften zu machen. Und da glaube ich, haben wir uns zu lange nicht drum gekümmert: Was unter dem Deckmantel von Religionsfreiheit - die richtig und wichtig ist - an Fundamentalismus entsteht. Das kann man nicht tolerieren.
Frage: Im Film lassen Sie Hatun Aynur Sürücü ihre Geschichte selbst erzählen. Warum diese ungewöhnliche Ich-Perspektive?
Antwort: Ein Impuls war, aus Aynur nicht nochmal ein Opfer zu machen. Wir wollten, dass sie mit ihrer gesamten Lebendigkeit und ihrer Lebenslust gezeigt wird. Und dass sie uns selbst ihre Geschichte erzählt. Und das eben auch mit einer gewissen Berliner Rotzigkeit tut. Sie ist ein Berliner Mädchen gewesen.
Frage: Ihr Filmteam hat Gespräche geführt, Akten gewälzt und rbb-Recherchen genutzt. Aber haben Sie auch mit der Familie geredet?
Antwort: Ehrlich gesagt wollten wir das zu diesem Zeitpunkt nicht, weil wir nicht wollten, dass jemand unser Vorhaben torpediert. Ausserdem war es auch nicht notwendig - die rbb-Autoren Matthias Deiss und Jo Goll, auf deren Film und Buch unser Film mit basiert, hatten Interviews mit der Familie geführt. Mit ein Grund, warum Aynur ihre Geschichte selbst erzählt, ist, dass in Dokumentationen natürlich immer die ausführlich zur Wort kommen, die überlebt haben. Und das sind die Brüder und der verurteilte Täter. Aber sie selbst hatte bisher keine Stimme.
Frage: Sie machen im Film aber auch Fragezeichen an vielen Stellen - etwa wenn es darum geht, ob wirklich niemand in der Familie von den Mordplänen wusste. Finden Sie das gerechtfertigt?
Antwort: Ich glaube, dass man das machen kann, weil es eine ganz gut dokumentierte Aktenlage gibt. Wenn Aynur zum Beispiel im Film sagt «Ich ficke mit wem ich will», ist das ein Satz, der aus der Aussage des jüngsten Bruders stammt. Florian Oeller, der das Drehbuch geschrieben hat, erzählt beides: die Tat, wie das Gericht sie im Urteil gesehen hat. Und die Tat, wie die Kronzeugin sie in ihrer Aussage schildert. Die Fragezeichen sind also bewusst gesetzt. Und alle Namen in unserem Spielfilm sind geändert – bis auf den von Aynur.
Frage: Der Fall liegt nun mehrere Jahre zurück. Sind Morde aus vermeintlicher Ehre ein grosses Problem?
Antwort: Da nehme ich die letzte Studie vom BKA, die sagt: Die Zahl der Frauen und Mädchen, die im Namen der Ehre getötet werden, bleibt relativ konstant im niedrigen Bereich, bei circa zwölf im Jahr. In der Türkei dagegen ist das anders, sagen uns Kollegen dort. Ein grösseres Problem bei uns sind aber Zwangsverheiratungen.
Frage: Also Fälle, in denen Mädchen zum Beispiel einen entfernten Verwandten heiraten sollen, den die Familie ausgesucht hat.
Antwort: Ja. Das kommt übrigens nicht nur in türkischen oder arabischen Familien vor, sondern auch in Familien aus EU-Ländern, aus Rumänien beispielsweise. Auch da gibt es Fälle von Frühehen. Durch meinen Verein bin ich häufiger unterwegs an Schulen in Kreuzberg und Neukölln. Letztes Jahr deutete auf einem Schulfest eine Lehrerin auf einen 16-jährigen Jungen, der gerade gegen seinen Willen heiraten musste. Auch Jungs kommen aus diesen Zwängen oft nicht raus. Ich habe mich gefragt, wieso wir da eigentlich so wenig hingucken.
Frage: Mit dem Film wollen Sie auch an Schulen gehen. Was haben Sie vor?
Antwort: Ich will Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund erreichen, die sagen «Geht mich nichts an». Und natürlich auch die mit Migrationshintergrund. Ich möchte die Lehrer bei ihrer Aufklärungsarbeit unterstützen und mit Jugendlichen diskutieren. Das tun wir schon manchmal mit unserem Verein, wenn wir in Neukölln oder Kreuzberg sind. Und ich höre natürlich auch von einigen Jugendlichen: «Mit dem Namen Özgür kriegen wir sowieso keinen Job.» Da ist natürlich ein Problem. Wo Ausgrenzung stattfindet, igelt man sich auch ein.
Frage: Manche könnten Ihnen vorwerfen, mit dem Film der AfD Futter zu geben.
Antwort: Ich höre das jetzt öfter: «Ist das nicht ein AfD-Thema?» Und ich frage dann immer zurück, wie da sein kann. Wie ist es dazu gekommen, dass Menschenrechte und Frauenrechte als AfD-Thema gelten? Ich finde das falsch. Im Film geht es nicht um «Christen oder Muslime» oder um «Deutsche und Ausländer», sondern um Menschenrechte oder Fundamentalismus. Es geht um Fanatismus oder Liberalität. Das ist die Trennlinie.
ZUR PERSON: Sandra Maischberger (52) wurde in München geboren. Sie besuchte die Deutschen Journalistenschule und moderierte ab 1990 an der Seite von Erich Böhme die Sat.1-Runde «Talk im Turm». Seit 2003 talkt sie im Ersten. Maischberger wohnt in Berlin, ist verheiratet mit dem Kameramann Jan Kerhart und hat einen Sohn. Mit ihrer Produktionsfirma Vincent TV arbeitet sie auch an vielen Filmen. Mit ihrem Verein Vincentino organisiert sie Kulturprojekte an Schulen in Berlin.