Von «Motzki» bis Galilei: Jürgen Holtz ist tot
Im Fernsehen spielte er in den 1990ern den «Motzki». Wirklich zu Hause aber war Schauspieler Jürgen Holtz auf der Theaterbühne. Zuletzt ging der Berliner nochmal ein grosses Wagnis ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Vielleicht kann man den Mut, den Jürgen Holtz hatte, an einer seiner letzten Rollen festmachen.
Am Berliner Ensemble stellte er sich mit 86 Jahren auf die Bühne - und zwar splitternackt. Die Haut, wabblig geworden vom Leben. Holtz schreckte das nicht ab. «Ich muss das volle Risiko eingehen», sagte er der «Süddeutschen Zeitung» damals, «anders geht es nicht».
Holtz spielte den Physiker Galileo Galilei. Fast sechs Stunden dauerte die Inszenierung von Regisseur Frank Castorf. Und Holtz stand etwas zerbrechlich, aber mit wuchtigem Text auf der Bühne. Nun ist er im Alter von 87 Jahren gestorben, wie das Berliner Ensemble der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag bestätigte.
Theaterintendant Oliver Reese würdigte Holtz als Ausnahmekünstler - «diese knorrige Präsenz auf der Bühne, sein klarer, kritischer Geist – er hinterlässt eine schmerzhafte Lücke. Sein letzter grosser Auftritt im Berliner Ensemble als Galileo Galilei bescherte uns einen der kostbaren Theatermomente, die allezeit rar waren und sind.» Es sei sein letztes Geschenk an das Publikum gewesen.
Das Haus am Schiffbauerdamm war nur eines von vielen Theatern, an denen Holtz aufgetreten ist. Geboren wurde er am 10. August 1932 in Berlin. Nach seiner Schulzeit entschied er sich fürs Theater: Er studierte die Bühnenkunst in Weimar und Leipzig, erste Rollen übernahm er damals in der DDR in Erfurt und Brandenburg an der Havel.
Holtz spielte an der Berliner Volksbühne und am Berliner Ensemble, er arbeitete mit Theatermachern wie Benno Besson, Einar Schleef und Heiner Müller zusammen. Anfang der 1980er verliess Holtz die DDR und reiste in die Bundesrepublik. Und machte Bühnenkarriere.
Für seine Darstellung im Drama «Katarakt» von Rainald Goetz in Frankfurt/Main bekam er den Gertrud-Eysoldt-Ring. Die Zeitschrift «Theater heute» machte ihn damals zum «Schauspieler des Jahres». Auch in Filmen ist er zu sehen, etwa in der DDR-Komödie «Good Bye, Lenin!» und in Margarethe von Trottas Porträtfilm «Rosa Luxemburg».
Mut bewies er auch im Fernsehen. Anfang der 1990er Jahre spielte er als Hauptrolle in der ARD-Serie «Motzki» einen hemmungslosen Nörgler, der aus dem Mosern nicht herauskam. Die Serie nahm satirisch die deutsche Wiedervereinigung aufs Korn.
Einer von Motzkis Sprüchen: «Die ganze Welt fragt sich: Weshalb kommen die Zonendödels nicht aus ihren Startlöchern raus?» Geschrieben wurde die Serie von Wolfgang Menge, der auch «Ekel Alfred» erfand. Motzki war eine heikle Rolle, die dem Schauspieler auch Kritik von einigen Zuschauern einbrachte.
Holtz sei «ein Grantler, ein feiner Gedankenverfertiger im Sprechen, ein König des Monologs», schrieb 2013 eine Jury von der Stiftung Preussische Seehandlung. Sie sprach Holtz damals den Theaterpreis Berlin für herausragende Verdienste um das deutschsprachige Theater zu. Die Berliner Akademie der Künste ehrte ihn kurz darauf mit dem Konrad-Wolf-Preis für sein Lebenswerk.
«Es geht nicht um Erfolge, es geht um Verwirklichung. Erfolg ist nichts», sagte Holtz in einem Interview der «Berliner Zeitung» vom Januar 2019. «Wenn man gebauchpinselt wird, freut man sich, aber die Premierenfeier dauert ja nicht ewig.»
Dass ihm die Hauptrolle in Bertolt Brechts «Galileo Galilei» angeboten wurde, hatte er wohl nicht erwartet. «Der Dramaturg richtete mir Grüsse von Castorf aus und fragte, ob ich diese Rolle spielen will. Ich dachte, ich kriege einen Herzschlag.» Brecht erzählt in dem Theaterstück von Wahrheitssuche, Fortschritt und Verantwortung. Regisseur Castorf hatte gesagt, der nackte Auftritt sei Holtz' eigene Idee gewesen.
Selbst ins Theater ging Holtz nach eigenen Worten nicht mehr. «Die Theater von heute machen aus Poesie Prosa», sagte er der «Berliner Zeitung». «Sie brechen die Kunst herunter auf die kleinen Verhältnisse. Onkel Soundso hat Probleme mit seiner Frau, und das Ganze spielt letztlich auf dem Klo.»
Aber wenn man die Dinge herunterhole in den Alltag, was bleibe dann übrig? «Warum soll ich mich mit dem Verdunkelten und Verkleinerten zufrieden geben? Warum soll ich die Sterne nicht sehen wollen? Weil sie zu hoch hängen?», sagte Holtz. «Das verstehe ich nicht.»