«Was Marielle weiss» spielt ein Gedankenexperiment durch

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Deutschland,

Was, wenn die Privatsphäre auf einen Schlag weg ist? Die deutsche Dramakomödie «Was Marielle weiss» wagt dieses Gedankenexperiment.

Julia Jentsch
Hauptdarstellerin Julia Jentsch war vom Drehbuch «begeistert». (Archivbild) - keystone

Die deutsche Dramakomödie «Was Marielle weiss» zwingt das Publikum auf zahlreichen Ebenen in eine humorvolle und hoch spannende Selbstreflexion. Hauptdarstellerin Julia Jentsch war vom Drehbuch «begeistert», wie sie sagt.

Es ist ein ganz normaler Schulhofstreit unter Teenage-Mädchen. Die eine nennt die andere «Schlampe», als Konsequenz folgt eine Ohrfeige. Doch dann merkt Marielle (Laeni Geiseler), dass der Schlag, den sie einstecken musste, nicht nur Schmerzen auslöst. Sie hört und sieht auf einmal alles, was ihre Eltern tun.

Mutter Julia (Julia Jentsch) etwa verwickelt sich an ihrem Arbeitsplatz gerade beim heimlichen Rauchen in einen sehr expliziten Flirt mit ihrem Kollegen. Vater Tobias (Felix Kramer) gibt in einem Konflikt mit einem fiesen Mitarbeiter klein bei, obwohl er mit dessen Meinung überhaupt nicht einverstanden ist. Beim Abendessen konfrontiert Marielle ihre Eltern mit der neuen Tatsache, dass sie ihr ab sofort nichts mehr vormachen können. Ein spannendes Gedankenspiel nimmt seinen Lauf.

Julia Jentsch, die in «Was Marielle weiss» die Rolle der Mutter spielt, ist froh, im echten Leben nicht in deren Situation zu stecken. Vom eigenen Kind kontrolliert zu werden, stellt sie sich ebenso anstrengend vor, wie die umgekehrte, weit realistischere Variante. «Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in denen die Eltern auf einer Vertrauensbasis mit ihren Kindern arbeiten mussten», sagt die in der Nähe von Zürich lebende Schauspielerin im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Obwohl es heute technische Überwachungsmöglichkeiten gebe, möchte auch sie es so handhaben – als Mutter, aber auch als Ehefrau, Freundin oder entfernte Bekannte. «Es ist aus verschiedenen Gründen besser, dass nicht immer alle alles voneinander wissen.» Allem voran deshalb, weil jedem Menschen ein «bewertungsfreier Raum» zustehe. Ein Raum, eine Zeit, in der man einfach sich selber sein dürfe.

Für Julia und Tobias im Film fällt dieser Schutzraum von einer auf die andere Sekunde weg. Eine Tochter erwischt ihre Eltern quasi inflagranti beim ungefilterten Sich-selber-sein. Und die Frage kommt auf: Wer ist man in unbeobachteten Situationen? Und wer will man sein, sobald man sich beobachtet fühlt?

Mutter-Tochter-Beziehung als zentrales Thema

Filmvater Tobias hat sich in seinem Job erniedrigen lassen, als er noch nicht wusste, dass seine Tochter ihm dabei zusieht. Seit er unter deren Beobachtung steht, ist alles anders. Er tritt sehr selbstbewusst auf, widerspricht und setzt seine Vorhaben durch. Julia dagegen reagiert mit einer gnadenlosen Umgangsmethode auf die telepathische Dauerpräsenz ihrer Tochter. Mehr sei dazu nicht verraten.

«Ich glaube, dass es beiden Elternteilen gleichermassen wichtig ist, bei ihrer Tochter gut anzukommen», interpretiert Julia Jentsch die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Julia und Tobias. Verschieden seien vielmehr die Folgen, die durch deren Aktionen entstehen. «Während Marielle ihrem Vater näher kommt, legt das Verhalten der Mutter offen, dass es zwischen den beiden Frauen vielleicht gar nicht so viel Verbindendes gibt.»

Die Mutter-Tochter-Beziehung ist ein zentrales Thema, das Drehbuchautor Frédéric Hambalek in seinem Regiedebüt anschneidet. Denn parallel zu dem, was sich zwischen Julia und Marielle abspielt, rücken auch die Mechanismen zwischen Julia und deren Mutter ins Zentrum.

Julia Jentsch hat diese Ebene im Film sehr berührt: «Sie zeigt auf, wie gewisse Erziehungserlebnisse zu einer ungeklärten Beziehung zum eigenen Kind führen können», so die Schauspielerin. Die Mutter, die sie spiele, liebe ihre Tochter zweifellos, «doch aufgrund der eigenen Prägung fällt es ihr schwer, dies zu zeigen».

Es geht auch um das Erwachsenwerden. Und um Geschlechterrollen. So liesse sich zumindest die Schlüsselszene interpretieren, in der die Eltern vor der Entscheidung stehen, wer das Kind von seinen telepathischen Fähigkeiten befreit.

Im Weiteren wird in dem Film eine Beziehung neu sortiert. Womit sich neue Fragen stellen wie: Sind Ehrlichkeit moralische Pflicht und Notlügen in Ordnung?

Was überladen klingt, ist tiefgründige, aber wunderbar bekömmliche Kost. Denn «Was Marielle weiss» will keine Antworten liefern. Wenn überhaupt, dann will der Film zum Nachdenken anregen. Und vielleicht möchte er auch einfach unterhalten.

Julia Jentsch hat das Drehbuch von Anfang an begeistert. «Es ist in einer klaren und konzentrierten Sprache geschrieben», erzählt sie. «Diese Kraft, dieses Ungewöhnliche hat mich sofort angezogen.» Ausserdem wohne dem Buch «eine gewisse Kühle» inne, die der Regisseur beim ersten Telefonat sogleich auf faszinierende Weise «mit viel Wärme, Herzlichkeit und Humor» durchflutet habe. Eine Beobachtung, die im selben Wortlaut auf das gesamte Kinoerlebnis übertragen werden könnte.*

*Dieser Text von Miriam Margani, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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