Das Velo auf dem Weg in die Verfassung
Überall in der Schweiz boomen die Velos. Auch die Unfälle mit Velos steigen. Jetzt soll die Verfassung dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 23. September wird über den Velo-Artikel abgestimmt.
- Velowege sollen gleich wie Fuss- und Wanderwege behandelt werden.
Der Veloartikel kommt am 23. September an die Urne. Es handelt sich um eine Ergänzung der bestehenden Verfassungsbestimmung über Fuss- und Wanderwege. Abgestimmt wird über einen direkten Gegenvorschlag des Parlaments. Die Veloinitiative von Pro Velo Schweiz, die diesem zugrunde liegt, ist zurückgezogen worden.
Anders als die Initiative rührt der Velo-Artikel weder an der heutigen Zuständigkeit der Kantone noch verpflichtet er den Bund zu neuen Subventionen. Velowege sollen in Zukunft gleich behandelt werden wie Fuss- und Wanderwege.
Der Bund kann Grundsätze über Velowegnetze festlegen. Zudem erhielte er bei einer Annahme die Möglichkeit, Massnahmen von Kantonen und anderen Akteuren in dem Zusammenhang zu unterstützen. Das kann er zum Beispiel mit landesweiten Standards für Velowege oder Geodaten für Karten und Apps.
Luft nach oben
Nach Ansicht von Verkehrsministerin Doris Leuthard lohnt sich der Einsatz des Bundes aus verschiedenen Gründen. Velos entlasteten den öffentlichen Verkehr und trügen zur Reduktion von Abgasen, CO2 und Lärm bei, argumentiert sie. Die Statistik zeigt, dass es noch Luft nach oben gibt: Über 80 Prozent der Tram- und Busfahrten und fast die Hälfte der Autofahrten kürzer als fünf Kilometer – das wäre eine ideale Velodistanz.
An der Verbreitung des Velos liegt es nicht. Heute besitzen zwei Drittel aller Haushalte mindestens ein Fahrrad. Vor allem in den grossen Städten nimmt der Veloverkehr ständig zu. Zugelegt haben insbesondere die E-Bikes: 90'000 Stück wurden letztes Jahr verkauft.
Dieser Erfolg hat eine Schattenseite: Viele Velofahrer unterschätzen die schnellen Elektrovelos. Während die anderen Verkehrsteilnehmer immer sicherer unterwegs sind, steigt die Zahl der Velounfälle seit 2010 stark an. 30 Velofahrer und 7 E-Bike-Fahrer verloren letztes Jahr ihr Leben, über 1000 Menschen wurden schwer verletzt.
Ein gutes Velowegnetz soll helfen, die Situation zu entschärfen. «Wo der Verkehr entflochten wird, kommen sich Auto-, Velo- und Fussverkehr weniger ins Gehege», hofft Leuthard.
Der Gegenvorschlag hat gute Chancen an der Urne. Gemäss einer Umfrage im Auftrag der SRG wollen 64 Prozent der Stimmberechtigten der Verfassungsänderung zustimmen, 26 Prozent sind dagegen. Laut dem Forschungsinstitut gfs.bern könnte die Zustimmung sogar noch steigen.
Sicheres Nebeneinander
Widerstand ist nämlich nicht in Sicht. Die SVP hatte sich zwar im Nationalrat gegen die Verfassungsbestimmung ausgesprochen. Diese sei unnötig und verursache bloss hohe Kosten, hiess es. Am Freitagabend hat der Parteivorstand die Nein-Parole beschlossen. Im Abstimmungskampf ist die SVP bisher aber kaum präsent. Ein Nein-Komitee ist nicht geplant.
Umso selbstbewusster ist der Auftritt der Befürworter. Vergangene Woche trat SP-Nationalrat und Pro-Velo-Präsident Matthias Aebischer vor die Medien. Der Verband hatte den Gegenvorschlag als «gutschweizerischen Kompromiss» anerkannt und seine Initiative zurückgezogen.
Flankiert wurde Aebischer bei seinem Auftritt von Vertretern sowohl des autofreundlichen Touring Clubs TCS als auch des Verkehrs-Clubs VCS, der sich mehr für den Langsamverkehr einsetzt. Bundesparlamentarier von FDP, CVP, GLP, BDP und Grünen warben ebenfalls für den Verfassungsartikel.
Breite Unterstützung
Sie alle sind überzeugt, dass die Entflechtung der Verkehrsströme allen Verkehrsteilnehmern nützt. Zudem werde das Velofahrern dadurch sicherer. Auch der Tourismus erhofft sich Rückenwind von der neuen Verfassungsbestimmung. So unterstützen auch Hotellerie, Gastronomie, der Tourismus-Verband, die Berggebiete und Gesundheitsorganisationen die Vorlage.
Kantone und Gemeinden sind ebenfalls überzeugt von der Vorlage. Für sie ist entscheidend, dass der Bund keine neuen Kompetenzen bekommt. Ausserdem gibt es keine neuen finanziellen Verpflichtungen. Ganz gratis ist die Alternative aber nicht zu haben. Der Bundesrat schätzt die Kosten für die Umsetzung auf rund eine Million Franken.