Der Bund forciert das elektronische Patientendossier (EPD), weil es sonst einfach nicht vorwärtsgeht. Brauchen wir das? Ein Kommentar.
elektronisches Patientendossier
Das elektronische Patientendossier soll laut Bundesrat schneller verbreitet werden. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesrat will das elektronische Patientendossier de facto zur Pflicht machen.
  • Die Einführung verlief bislang schleppend.
  • Vom EPD erhofft sich der Bundesrat mehr Qualität und Sicherheit. Ein Kommentar.
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Achtung, jetzt kommt das grosse Coming-out: Ich hatte ja mal einen Unfall. Wenn Sie jetzt zu denjenigen gehören, die «ha, hab ich es doch gewusst» ausrufen, möchte ich Sie auf Johannes 8, Vers 7 verweisen. Wer ohne Unfall ist, der werfe sich als Erster schützend vor alle anderen.

Denn, um Oprah 2004, September den Dreizehnten, zu zitieren: Sie hatten einen Unfall! Und Sie! Und Sie auch.

Ein Quantensprung. Oder zwei.

Es sei denn, bei den rund 800'000 jährlich gemeldeten Unfällen in der Schweiz seien immer die gleichen 800'000 Personen beteiligt. Von dem her erzähle ich vielen wohl nichts Neues: Man hat einen Unfall, man begibt sich in medizinische Behandlung, man wird ganz oder teilweise in so eine Maschine gesteckt und die macht Bilder von, man glaubt es kaum, dem Inneren des Körpers! Wirklich wahr.

Patientendossier
Bald sollen die Patientendossiers digital verfügbar sein. - keystone

MRI, MRT, CT, keine Ahnung, aber einmal hab ich dann (ja, ich hatte schon mehrere Unfälle, ich bin so verwöhnt) die Dame, die nicht der Facharzt war, gefragt: Siiiiie, kann ich diese ulkigen Bilder eigentlich auch haben oder geht das nur, wenn man ein elektronisches Patientendossier hat? Weil, ich habe keins, aber das war nicht weiter schlimm, denn die Dame wusste eh nicht, wovon die Rede war.

Haben Sie ein elektronisches Patientendossier?

Aber sie könne mir imfall die Bilder auf eine CD brennen und per Post schicken. Das klang wie 1995, als das Internet ebenfalls noch per Post verschickt wurde, oder zumindest stand das auf der Installationsdiskette so drauf. Trotzdem war ich geneigt, in Jubel auszubrechen, denn das war ja im Vergleich zum BAG, das seine Daten per Fax sammelt, ein Quantensprung. Bis mir einfiel, dass mein Laptop auch einen Quantensprung gemacht hatte und gar kein CD-Laufwerk mehr besitzt.

Das elektronische Patientendossier ist ein Gewinn

Egal, ich wollte die Bilder ja eh nur zum persönlichen Privatvergnügen und nicht etwa, weil ich dem Gesundheitswesen ein erneutes Scanning meines Innenlebens für mehrere hundert Franken ersparen wollte. So ein ichbezogener Egoist ist jemand. Also ich.

Elektronisches Patientendossier EPD
Entwicklung der Anzahl Personen mit einem Elektronischen Patientendossier (EPD) in der Schweiz, nach Geschlecht 2022-2023. - BAG

Aber ganz grundsätzlich wäre es ja schon praktisch, wenn all diese Bilder, Laborwerte, Befunde, Rezepte und andere Erinnerungsstücke irgendwo verfügbar wären für meine Ärzte und Apotheker. Vielleicht sogar für andere Personen und deren Ärzte. Und man nicht eine CD mit nachhause bekommt, mit Daten, die der nächste Arzt nicht öffnen kann, weil Mac oder PC, oder umgekehrt.

Wenn das elektronische Patientendossier mir wenigstens erspart, einen Teil der Gespräche am Apothekenschalter nebendran nicht mithören zu müssen, ist das bereits ein Gewinn. Ja, wieder nur für mich, aber immerhin.

Endlich 21. Jahrhundert, oder fast

Ist das vom Gesundheitsminister Alain Berset heute präsentierte elektronische Patientendossier nun die beste Lösung? Ist es sinnvoll, im Prinzip alle dazu verpflichten, es zu verwenden – sowohl Leistungserbringer wie Patienten? Die Antworten sind einfach: Nein, natürlich ist es nicht die beste Lösung, aber immerhin ist es eine und sie tönt von ferne betrachtet einigermassen zeitgemäss.

CT Triemli
Ein Mitarbeiter bereitet einen Patienten vor für eine Computertomografie, am Triemli-Spital in Zürich (gestellte Aufnahme) - keystone

Es scheint sinnvoll, eine gewisse Pflicht zu verordnen, denn sonst wird das nie was und wir werden noch in dreissig Jahren Ärzte mit Zettelkastensystem und Patientinnen mit Rückenschäden vom Herumtragen von kiloweise Röntgenbildern ihrer Rückenschäden haben.

Nau.ch-User #4603 hat das Problem sehr schön zusammengefasst: «Heute muss man bei Bedarf alles zusammensuchen. Später weiss man mit einem Knopfdruck alles über uns.» Es hat alles seine Vor- und Nachteile und Alain Berset mag für viele nicht der ideale Überbringer der Botschaft sein. Dass der Datenschutz elementar ist, scheint man erkannt zu haben. Bis das EPD flächendeckend eingeführt ist, sollten konsequenterweise am Eingang von Apotheken nicht nur Warteschlangennummern, sondern auch Gehörschutzstöpsel verteilt werden.

Fast drei Viertel der Ärzte und Ärztinnen unter 44 Jahren führen die Dossiers ihrer Patienten vollkommen elektronisch. Von den über 55-jährigen Berufskollegen sind es nicht einmal vier von zehn. (Symbolbild)
Fast drei Viertel der Ärzte und Ärztinnen unter 44 Jahren führen die Dossiers ihrer Patienten vollkommen elektronisch. Von den über 55-jährigen Berufskollegen sind es nicht einmal vier von zehn. (Symbolbild) - sda - Keystone/CHRISTIAN BEUTLER

Sorgen bereitet mir vielmehr etwas anderes. Das elektronische Patientendossier wird nicht einfach ein weiterer Ausweis im Kreditkartenformat wie der Führerschein, das AHV-Kärtli oder der Swisspass. Nein, das EPD gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen, denn es «erfolgt die Ablage dezentral bei den dafür zertifizierten EPD-Anbietern, den sogenannten Stammgemeinschaften».

Nicht genug damit, dass ein Teil der Umsetzung mal wieder «Sache der Kantone» sein soll. Ich dachte eigentlich, spätestens mit der Niederlage der Helvetier gegen Julius Cäsar, damals bei Bibracte, hätten wir das mit den Stämmen ad acta gelegt, wie man zu Zeiten von Julius Cäsar sagte. Aber das ist ja auch erst 22 Jahrhunderte her.

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