Internet-Anwalt kritisiert Junge SVP: «Keine Zeit» ist kein Argument
Alt-Bundesrat Deiss wurde auf der Facebookseite der Jungen SVP massiv bedroht. Der Experte erklärt, wer verantwortlich ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Joseph Deiss wird wegen Äusserungen zur EU im Internet bedroht.
- Die Kommentarschreiber können für ihre Drohungen zur Verantwortung gezogen werden.
- Dabei gibt es jedoch einige Unterschiede.
«Dä typ brucht en kugle». Unmissverständlich wurde Alt-Bundesrat Joseph Deiss mit dem Tod bedroht. Der Absender: Ein Kommentarschreiber unter einem Facebook-Post der Jungen SVP. Diese hatte sich darüber geärgert, dass der 73-jährige Ex-CVP-Magistrat sich für einen EU-Beitritt der Schweiz ausgesprochen hatte.
«Solche Verräter sind früher Hingerichtet worden!!», weiss ein anderer Nutzer. Es sind die konkretesten Drohungen, welche sich unter dem JSVP-Post versammelten.
«Wir haben die Morddrohungen natürlich gelöscht», sagt Benjamin Fischer zu Nau. Die JSVP habe aber zu wenig finanziellen Mittel, um jemanden einzustellen, der die Kommentare verwalte. Auf Facebook forderte die Junge SVP die Follower zu Anstand auf.
Doch: Wer trägt Verantwortung, wenn Personen im Internet mit dem Tod bedroht werden und was wird dagegen unternommen?
Fedpol schützt Joseph Deiss
«Für Kommentare sind in erster Linie die Verfasserinnen und Verfasser verantwortlich», sagt Martin Steiger. Der Anwalt ist spezialisiert auf Recht im digitalen Raum.
Ist der Verfasser bekannt, können auch zivilrechtliche Schritte ergriffen werden, erklärt Steiger. «Auf diesem Weg können beispielsweise weitere Äusserungen verboten werden.» Dafür ist jedoch eine Klage nötig, wie das Bundesamt für Polizei bestätigt.
«Generell gilt: Betroffene sollten bei Drohungen einen Strafantrag stellen. Wir empfehlen grundsätzlich jeder Betroffenen und jedem Betroffenen einen solchen Strafantrag», sagt Mediensprecherin Lulzana Musliu.
Grenzen der Meinungsäusserungs-Freiheit
Das Fedpol schütze Personen in der Verantwortung des Bundes. «Auch Alt-Bundesrätinnen und Alt-Bundesräte können nach dem Ausscheiden aus dem Bundesrat unter diesen Schutz fallen», so Musliu.
Nicht jeder Betroffene ist jedoch so prominent wie Joseph Deiss, gibt Martin Steiger zu bedenken. «Das Ergebnis ist sehr unterschiedlich. Bei einer prominenten betroffenen Person ist die Wahrscheinlichkeit für ein schnelles Vorgehen allenfalls höher.»
Grundsätzlich sei die Meinungsfreiheit ein Grund- und Menschenrecht. «Sie wird aber dort eingeschränkt, wo sie mit anderen Grund- und Menschenrechten kollidiert. So kennt die Schweiz eine Strafnorm gegen Rassendiskriminierung. Auch bestimmte Gewaltdarstellungen und bestimmte Pornografie sind nicht erlaubt.»
Junge SVP ist nicht ganz unschuldig
Wo genau die Grenzen zwischen erlaubten und unerlaubten Meinungsäusserungen liegen, müssen Gerichte und Staatsanwaltschaften im Einzelfall entscheiden, erklärt Steiger. Klar ist: Auch wer eine Facebook-Seite betreibt kann mitverantwortlich sein – genauso wie jemand, der ein Blog oder eine Website betreibt.
«Zivilrechtlich spricht man von Mitwirkung an einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung», so Anwalt Steiger. Darum moderieren viele Medienportale die Kommentarspalten vor der Veröffentlichung, so wie das etwa auch Nau tut.
Die Junge SVP ist nicht ganz unschuldig. Denn die fehlende Zeit, alle Kommentare zu kontrollieren zu können, sei rechtlich kein überzeugendes Argument, so Steiger. «Ich habe aber dennoch Verständnis für das Argument, denn Facebook beispielsweise stellt keine brauchbaren Werkzeuge für die Moderation von Kommentaren zur Verfügung.»
Auch Facebook ist verantwortlich
«Genauso mitverantwortlich kann die jeweilige Plattform sein, vorliegend zum Beispiel Facebook. Diese Mitwirkung ist vor allem relevant, wenn die Verfasserin oder der Verfasser von Kommentaren nicht identifiziert werden kann.»
Ein solches Vorgehen soll in der Schweiz künftig einfacher werden. Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter sollen in der Schweiz einen Briefkasten haben müssen. Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli verlangt die Umsetzung einer entsprechende Idee unter anderem von Martin Steiger.
Joseph Deiss könnte also auch gegen Facebook vorgehen. «Viele Betroffene schrecken vor solchen Schritten allerdings zurück, weil sie den Aufwand scheuen», erklärt Anwalt Steiger. «Auch dauern Verfahren häufig sehr lange und ein Teil der Täterschaft kann nie identifiziert werden.»