Keine Sorge, Armeeseelsorge

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Erstmals wurde bei einem «Feldgebet» in der Armee in Richtung Mekka gebetet. Sonst… war eigentlich nichts. Ein Kommentar.

Armeeseelsorger Soldaten Gebet Feldprediger
Ein Feldprediger, oder wie man heute sagt, Armeeseelsorger, bei einem Truppenbesuch: «Der Feldprediger hilft, das seelische Wohlbefinden der Truppe zu verbessern.» - VBS/DDPS / Matthias Bill

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweizer Armee haben Muslime ein Feldgebet durchgeführt.
  • Das war eine Premiere. Sie hat einige Leute verschreckt.
  • Man kennt das. Ein Kommentar.

Gerade eben blicke ich zum Fenster hinaus und sehe ein relativ grosses Flugzeug mal vor, mal hinter den Wolken vorbeifliegen. Komisch, denke ich, etwas sehr gross für Bern-Belp, und auch zwei Jahrzehnte nach 9/11 stellt sich ein leicht mulmiges Gefühl ein. Das scheint vielen so zu gehen: Ungewohntes, wenn auch banal, triggert Assoziationen, Emotionen, irrationale Ängste.

Ein Anblick mit Seltenheitswert

Tja, das kommt davon, wenn man in der Schule nicht gelernt hat, möglichst oft zum Fenster hinauszustieren. Hätte ich mich längst daran gewöhnt, was da vor, hinter und ohne Wolken in grenzenloser Freiheit vorbeipropellert.

soldaten
Dieses Bild von den betenden Soldaten erzürnt Nationalrat Andreas Glarner. - Twitter / mcpolitik

Ähnlich geht es aktuell scheinbar zahlreichen Beobachtern der aktuellen Berichterstattung mit dem Anblick betender Muslime unter freiem Himmel. Sieht man ja ebenfalls sehr selten beim Blick aus dem Fenster. Und dann haben diese auch noch die Uniform der Schweizer Armee an. Die sieht man zwar öfter, aber die Kombination, wenn auch banal, triggert Assoziationen, Emotionen, irrationale Ängste.

Politiker so: «Angst ist ein schlechter Ratgeber»

Nur ist nicht so ganz klar, wovor eigentlich. SVP-Nationalrat Andreas Glarner proklamiert schlicht, die Armee sei jetzt definitiv verloren. Die SVP Schweiz wird etwas konkreter: Das Problem ist nicht, dass da Soldaten faul herumliegen, statt dass sie innert 30 Sekunden ein Sturmgewehr zerlegen und wieder zusammensetzen. Sondern weil nach dem Herumliegen «Kinder-Ehen, Scharia-Gerichte, Steinigungen» der nächste Schritt seien.

Armeeseelsorge Muslime Andreas Glarner
Das Feldgebet zum Beginn des Opferfestes durch muslimische Soldaten in der Schweizer Armee sorgt für Irritationen. - Screenshot Twitter

Der SVP-Delegierte Manuel Cadonau wird noch einmal ausführlicher. Religion gleich privat und kein Problem, aber nichts für die Armee. Riskant sei aber, wenn bestimmte Soldaten im Krieg Sympathien für den Feind entwickeln.

Klar: Letzteres ist ein Problem, denn wie soll man einem anständigen Krieg zur vollen Blüte verhelfen, wenn sich alle sympathisch sind? Sag mir, wo die Blumen sind, sag ich da nur. Zwischen den Zeilen könnte man natürlich herauslesen: «…wenn der Feind aus Richtung Mekka kommt.» Aber A) steht das da nicht und, man muss B) sagen, passiert das auch nicht, denn da liegt Italien.

Braucht es in der Schweizer Armee eine Armeeseelsorge?

Nein, die Ängste beschwören die schlimmsten Auswüchse der hier praktizierten Religion herauf. Weshalb solcherlei sofort in die private Angelegenheit zurückverbannt gehört, so wie man das schon seit jeher gemacht hat.

Feldprediger: Ein alter Hut seit 1291, dort, auf der Stange

Nämlich seit Jahrhunderten: Den Armeeseelsorger, früher Feldprediger genannt, gibt es ja nicht erst seit 2021, als nebst Katholiken und Protestanten auch Freikirchler, Juden und Muslime Seelsorger werden konnten. Sondern offiziell seit 1882. Inoffiziell, wie sie vielleicht mal in einem Vortrag gehört haben, schon viel länger: Schon Jeremias Gotthelf wurde 1831 als Feldprediger ins Baselbiet entsandt.

Feldprediger Schweizer Armee historisch
«Der Feldprediger und sein Altar»: Das Gebirgsinfanterie Regiment 6 auf der Alpe della Costa im Tessin, irgendwann zwischen 1914 und 1918. - Schweizerisches Bundesarchiv

Selbst bei der Schlacht von Morgarten 1315, will uns das VBS weis machen, hätten die Eidgenossen schon einen «Pfaff» in der Stabtruppe dabeigehabt. Oder, und das kann wohl Andreas Glarner bestätigen, bei der Schlacht von Marignano 1515, der Wiege der Schweizer Neutralitätspolitik. Dort war der spätere Zürcher Reformator Huldrych Zwingli, noch als Katholik, mit dabei: Als geistliche Unterstützung des «Glarner Heerhaufens».

Hat die Schweizer Armee während der christlichen Alleinherrschaft über die Soldatenseelen sich davon gross beeindrucken lassen? Weder wurde das Zölibat eingeführt noch Pädophilie legalisiert, Hexenverbrennungen gab es keine und im Ausgang war jedem Soldaten die Wahl des geeigneten Verhütungsmittels freigestellt. Selbst den Striptease am Kompanieabend konnten die Kirchenmänner im Hauptmanns-Rang nicht vollständig verhindern.

Armeeseelsorgerin Rekrutin
Eine Armeeseelsorgerin im Gespräch mit einer Rekrutin. - VBS/DDPS / Nicola Pitaro

Schon klar: Ich soll doch nicht so alte Klischees aufwärmen. Nichts ist öder als ein lauwarmer statt heisser Striptease, von aufgewärmten Hexenverbrennungen und runterkühlenden Verhütungsmitteln ganz zu schweigen. Die Katholische Kirche ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Jetzt haben sie schliesslich diesen Franz als Chef, der eigentlich Jorge heisst und demnach seinen Namen wechselt wie andere das Geschlecht.

Aber so war es nun mal, bis kurz vor dem ersten Franz. Wenn man denn schon herumkritteln wollte, müsste man nicht gen Mekka, sondern ins Berner Oberland, den Sankt Chrischona BS oder den Thurgau blicken. Manch eine Freikirche hat zum Beispiel etwas Mühe mit Homosexualität, entgegen der Schweizer Bundesverfassung.

Fenster oder Gang?

Die Evolutionstheorie wird abgelehnt und die Bibel gilt als unfehlbar – ebenfalls entgegen der Bundesverfassung. Manche betreiben eine Art Teufelsaustreibung, die «Befreiung» von Dämonen. Und sie dürfen trotzdem Feldprediger stellen.

Aber auch die Evangelikalen gehen mit der Zeit. So setzt sich die Gleichberechtigung zum Beispiel bei Ämtern immer mehr durch. Im Jahr 2005 nahm erstmals eine Frau an der Exorzistenausbildung teil.

Papst Franziskus Buddhismus
Ein von den Vatikan-Medien zur Verfügung gestelltes Bild zeigt den Verband des Humanistischen Buddhismus beim Treffen mit Papst Franziskus I., bürgerlich Jorge Mario Bergoglio. - keystone

Ui nein, sorry, ein Lapsus: Die Exorzisten, das sind ja die Katholiken. Die erste Frau war die katholische Theologin Alexandra von Teuffenbach. Sorry, wirklich, hätte ich wissen müssen. Jetzt sieht es doch noch so aus, als sei ich derjenige, der in der Schule einen Fensterplatz gehabt hat.

Also, dann bleiben wir doch dabei, ganz im Sinne von Herrn Cadonau: Es ist kein Problem, wenn Schweizer Soldaten auf dem Boden beten. Wo denn sonst?

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