Was bringen Einreiseverbote für Extremisten wie Martin Sellner?
Der rechtsradikale Martin Sellner soll in Zürich einen Vortrag über «Remigration» halten – die Kapo fordert vom Bund eine Einreisesperre. Ist das zielführend?
Das Wichtigste in Kürze
- Der Rechtsradikale Martin Sellner will in Zürich einen Vortrag über «Remigration» halten.
- Die Kantonspolizei fordert vom Fedpol deshalb eine Einreisesperre für den Österreicher.
- Ein Extremismusforscher ordnet ein: Es sei richtig, Extremisten öffentlich zu ächten.
Vor einigen Tagen hatten mehrere Medien berichtet, dass Martin Sellner im März in die Schweiz einreisen will: Der Rechtsradikale aus Österreich will im Raum Zürich einen Vortrag zum Thema «Remigration» halten, wie er in einer Videobotschaft mitteilt.
Offenbar folgt Sellner einer Einladung vonseiten der Gruppierung «Junge Tat» – im Video bedankt er sich bei einem ihrer Gründungsmitglieder. Auch Nicolas Rimoldi von «Mass-Voll» soll sich bereits mit dem Österreicher solidarisiert haben.
Kantonspolizei fordert Einreisesperre
Doch gegen den geplanten Auftritt des rechtsextremen Aktivisten regt sich Widerstand: Gegenüber Nau.ch bestätigt die Kantonspolizei Zürich einen Bericht von «20 Minuten» – man habe beim Bund eine Einreisesperre für Sellner gefordert. Auch die Bundespolizei bestätigt diesen Sachverhalt auf Anfrage – «zur erwähnten Veranstaltung steht Fedpol im Austausch mit lokalen Sicherheitsbehörden».
Grundsätzlich könne Fedpol Einreiseverbote verfügen, wenn eine «Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz» anzunehmen sei. Zu einzelnen Personen oder allenfalls verfügten Fernhaltemassnahmen könne sich Fedpol aus rechtlichen Gründen aber nicht äussern.
Damit fordert nach Deutschland auch die Schweiz eine Einreisesperre für den Österreicher. Daneben sammelt auch die Organisation «Campax» im Rahmen einer Petition gegen den Österreicher Unterschriften für die Massnahme.
Bis 2023 war Martin Sellner der Sprecher des österreichischen Ablegers der «Identitären Bewegung» (IB) – eine aktionistische, völkisch orientierte Gruppierung. Extremismus-Experte Dirk Baier erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «Diese Bewegung war einst angetreten, um den Rechtsextremismus zu modernisieren und für junge Menschen attraktiv zu machen.»
Image des Rechtsextremismus aufpolieren
Die IB habe versucht, den Markenauftritt der gesamten Ideologie aufzupolieren: «Weg vom Image der glatzköpfigen Nazis in Springerstiefeln.» Auf diese Weise habe die Gruppierung die «Fassade des Rechtsextremismus» erneuert.
Ausländer- oder islamfeindliche Narrative wurden durch Begrifflichkeiten wie «Ethnopluralismus» oder «Remigration» ersetzt. «Gemeint sind damit aber weiterhin dieselben rechtsextremen Parolen – der Inhalt hat sich letztlich nicht verändert.» In der Forschung spricht man in diesem Zusammenhang von Rassismus ohne Rassen oder kulturellem Rassismus.
Extremismusexperte: «Martin Sellner ist klar rechtsextrem»
Der Extremismusforscher ist überzeugt: «Die Bewegung will ein ethnisch homogenes, autoritär-nationalistisches System errichten. Das sind auch die Positionen von Herrn Sellner – er ist klar rechtsextrem.»
Ähnlich sei die «Junge Tat» zu beurteilen, erklärt Baier: «Sie geben sich modern und jugendlich und setzen diesen Trend der Identitären Bewegung fort. Im Kern geht es aber ihnen um dieselben Themen. Auch die ‹Junge Tat› ist rechtsextremistisch – da gibt es aus meiner Sicht keine Zweifel.»
Wie zielführend sind Einreisesperren?
Folglich handelt es sich gemäss Experteneinschätzung sowohl bei Martin Sellner als auch bei der Gruppierung «Junge Tat» um Rechtsextremisten. Doch wie zielführend sind Einreisesperren in solchen Fällen?
Die Einreisesperre vermittle mindestens zwei Nachrichten, wie Baier betont: Einerseits sei die Massnahme als Ermahnung direkt an die rechtsextremen Gruppierungen adressiert – «Polizei und Nachrichtendienste haben euch im Blick.»
Andererseits richte sich ein Einreiseverbot auch direkt an die Bevölkerung: «Es gibt rechtsextreme Umtriebe in der Schweiz und man sollte diesen Gruppierungen gegenüber stets wachsam bleiben», erklärt Baier.
Dass die Massnahme den Zusammenhalt innerhalb der rechtsextremen Szene weiter stärke, glaubt der Experte nicht. Schon heute seien die wenigen rechtsextremen Gruppierungen hierzulande marginalisiert. Diejenigen, die sich trotz öffentlicher Verurteilung weiterhin an ihren Aktivitäten teilnehmen, seien von der Sache überzeugt: «Die Ächtung löst hier keinen weiteren Radikalisierungsschritt aus.»
Schweigen als Form der Zustimmung
«Aus meiner Sicht wäre es fahrlässig, auf diese Ächtung zu verzichten, weil gerade das Schweigen als Zustimmung gewertet wird.» Mit Blick auf das beflügelte Wort des US-amerikanischen Richters Louis Brandeis, Sonnenlicht sei das beste Desinfektionsmittel, erklärt Dirk Baier: «Die Hoffnung, dass sich solche Gruppierungen im Scheinwerferlicht selbst entlarven, kann auch trügerisch sein.»
Es gebe einen Teil der Bevölkerung, der sich nach Autorität und starker Führung sehne, erklärt der Extremismusforscher. Diese Menschen brauchten ein Gefühl der eigenen Stärke, der eigenen Bedeutsamkeit. Die «falschen» Persönlichkeiten im Sonnenlicht könnten für diese Personen erst recht ein Fixstern sein. Baier betont: «Mir wäre viel lieber, wenn die positiven, demokratisch gesinnten und versöhnlich gestimmten Personen im Sonnenlicht ständen.»