«Geflohen» Teil IV: Was der Ausweis F für Flüchtlinge bedeutet

Nadine Brügger
Nadine Brügger

Bern,

Die Kinder sprechen Berndeutsch, die Eltern haben mit Ausweis F Mühe, Arbeit zu finden. Nau hat mit einer syrischen Flüchtlingsfamilie gesprochen.

Suhers Mann schreibt Bewerbung um Bewerbung. Aber auch das Wort «F-Ausweis» wirkt wie ein Fluch: «Die Leute denken, es ist illegal, jemanden mit einem Ausweis F anzustellen und schicken uns davon», sagt Suher. Sie und ihr Mann sagen dann, dass sie arbeiten dürfen. Ganz bestimmt. Man solle doch bei der zuständigen Person nachfragen: «Hier ist die Nummer.» Einen Anruf bekommt die zuständige Person nie. Herr Serieh auch keinen Job.

Lehrstelle finden mit Ausweis F

Das Wichtigste in Kürze

  • 2013 floh die Familie Serieh mit vier Kindern von Damaskus (SYR) in die Schweiz.
  • Nau berichtet in einer sechsteilige Serie über das Schicksal der Familie.
  • Teil IV: Leben, lernen und arbeiten mit dem Ausweis F.

Seit er klein ist, will der älteste Sohn Shadi Zahnarzt werden. Warum? Suher zuckt die Schultern und lacht. «Das wollte er eben einfach immer». Seine Noten in Mathematik und Naturwissenschaften sind gut. Französisch aber lernt er nicht schnell genug. Lehrstelle statt Gymnasium, also.

Herbst 2016 im Berner Oberland. Vor drei Jahren floh die syrische Flüchtlingsfamilie Serieh in die Schweiz. Zuher und Noor, die beiden jüngsten Buben der Familie, kicken jetzt im lokalen Fussballclub.

«Ausweis F», fragen die Lehrmeister, «darfst du denn überhaupt eine Lehre machen?» Und die Berufsschulen doppeln nach: «Das heisst doch, dass du vielleicht in einem oder zwei Jahren wieder weg bist. Dann hat es keinen Sinn, hier eine Lehre anzufangen.» Ein Automechaniker schüttelt ob all der Vorbehalte nur den Kopf und bietet dem jungen Mann eine Lehrstelle an. Statt Zähne, flickt Shadi jetzt Autos.

Papa Basem hoch über der Spiezer Bucht. Hinter ihm glitzert der Thunersee.
Papa Basem hoch über der Spiezer Bucht. Hinter ihm glitzert der Thunersee. - zvg

Mama Suher macht eine Spitex-Ausbildung beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH. Danach darf sie in einem Heim im Bereich Hauswirtschaft arbeiten. In Damaskus hatte sie studiert und war später im Ministerium für Kultur angestellt. «Aber die Ausbildung zählt hier nicht. Ich glaube, die Bildungssysteme sind viel zu unterschiedlich», erklärt Suher.

«Man spürt, wenn jemand einen nicht mag», sagt Suher. Doch die bösen Blicke werden immer weniger.
«Man spürt, wenn jemand einen nicht mag», sagt Suher. Doch die bösen Blicke werden immer weniger. - Nau.ch

Arbeiten mit Ausweis F

Eine syrische Flüchtlingsfamilie flieht von Damaskus in die Berner Alpen. Der Kulturschock ist gross - auf beiden Seiten.
Eine syrische Flüchtlingsfamilie flieht von Damaskus in die Berner Alpen. Der Kulturschock ist gross - auf beiden Seiten. - Keystone / Nau.ch

Wenn der Staat es bewilligt, dürfen Menschen mit Ausweis F in der Schweiz arbeiten. Der Kanton Bern hat beiden Seriehs eine Arbeitsbewilligung erteilt.

Die ganze Geschichte der syrischen Flüchtlingsfamilie Serieh

1. Von Damaskus in die Berner Alpen – Die Familie Serie flieht aus Syrien
2. «Schmarotzer, ihr wollt doch nur unser Geld» – Beleidigungen auf dem Pausenplatz
3. «Habt ihr keine Schweizer gefunden?» – Wohnungssuche in der Schweiz
4. «Dürft ihr überhaupt arbeiten?» – (K)eine Zukunft mit Ausweis F
5. Muslimischer Patriarch oder Gentleman? – Schweizerisch-Syrische Differenzen
6. Schuldzuweisung und Heimweh – Wer trägt die Verantwortung am Krieg? Und wo ist «daheim»?

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