Geheimagenten in Zusammenhang mit Nawalny-Attentat identifiziert
Laut einer Recherche mehrerer Medien sollen russische Geheimagenten am Nowitschok-Attentat an Kreml-Kritiker Nawalny beteiligt gewesen sein.
Das Wichtigste in Kürze
- Alexej Nawalny soll seit 2017 von russischen Geheimagenten beobachtet werden.
- Mehrere Medien haben dazu GPS-Daten und Passagierlisten untersucht.
- Mindestens acht Mitarbeiter des Inlandgeheimdienstes FSB sollen beteiligt gewesen sein.
Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist mutmasslich im Rahmen einer komplexen Operation durch Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB vergiftet worden. Dies hat eine Recherche mehrerer Medien ergeben.
Mindestens acht FSB-Mitarbeiter seien identifiziert worden, berichtete der «Spiegel» am Montag. Dieser hat gemeinsam mit den Investigativplattformen «Bellingcat» und «The Insider» sowie dem US-Nachrichtensender «CNN »recherchiert. Bei den Identifizierten handele es sich um sechs ausführende Agenten und zwei mutmassliche Führungskräfte.
Standortdaten und Passagierlisten analysiert
Durch Auswertung der Mobilfunkverbindungen und Standortdaten von über einem Dutzend mutmasslicher FSB-Agenten lasse sich nachvollziehen, dass Nawalny seit 2017 im Visier des FSB-Teams stand. Analysen zahlreicher Passagierlisten russischer Linienflüge bekräftigen die Theorie, schrieb der «Spiegel».
So seien die FSB-Agenten mehr als 30 Mal zu Nawalnys Reisezielen vorausgeflogen und kurz nach ihm nach Moskau zurückgekehrt. Demnach ist es wenig wahrscheinlich, dass es sich bei dem FSB-Team um Agenten handelte, die Nawalny nur beobachteten.
Agenten kommunizierten mit Chemielabor
Die beiden mutmasslichen Führungskräfte gehören dem «Spiegel» und seinen Partnern zufolge zwei FSB-Einheiten an. Diese wurden in der Vergangenheit bereits mit Giftmorden in Verbindung gebracht: das «Institut für Kriminalistik» und das ihm übergeordnete «Zentrum für Spezialtechniken».
Eine der beiden Führungskräfte kommunizierte den Recherchen zufolge regelmässig mit Chemielaboren, die mit dem Nowitschok-Programm Russlands in Verbindung stehen. Alle acht identifizierten FSB-Männer haben demnach entweder eine Vorgeschichte in medizinischen oder chemischen Bereichen oder haben für russische Spezialkräfte gearbeitet.
Labore haben Nowitschok-Einsatz bestätigt
Nawalny war am 20. August auf einem Flug vom sibirischen Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Zwei Tage später wurde der 44-Jährige, noch im Koma liegend, zur Behandlung in die Berliner Universitätsklinik Charité gebracht.
Nach Angaben von drei europäischen Laboren wurde Nawalny mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet. Deren Ergebnisse wurden von der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) bestätigt. Moskau bestreitet jede Beteiligung. Nawalny befindet sich immer noch in Deutschland, wo er sich von dem Anschlag erholt.
Sonderbare Situation in Tomsk
Laut der «Spiegel»-Recherche konnte im Vorfeld von Nawalnys Reise nach Tomsk reger Telefonverkehr zwischen den insgesamt acht FSB-Agenten festgestellt werden. Ausserdem wurde einer der FSB-Männer, Alexej Alexandrow, in Nowosibirsk vor dem Hotel einer Vertrauten Nawalnys geortet.
Nawalny berichtete dem «Spiegel» von einer auffälligen Begebenheit am Vorabend seines Zusammenbruchs: Hinter dem Tresen der Hotelbar hätten sich viel mehr Menschen aufgehalten als sonst. Der Barkeeper habe ihm eine Bloody Mary verwehrt, seinem Wunsch nach einem Negroni aber entsprochen.
Agenten liessen sich chemisch Reinigen
Nachdem Nawalny die Bar verlassen hatte, kommunizierten die FSB-Leute intensiv miteinander. Alexandrows Telefon wurde letztmalig kurz nach Mitternacht des 20. Augusts nahe dem Hotel geortet wurde.
Am nächsten Morgen verliess Nawalny früh das Hotel in Tomsk. Zeitgleich setzte eine Telefonstafette zwischen einem mutmasslich vor Ort anwesenden FSB-Mitarbeiter mit den in Moskau sitzenden Führungskräften ein.
Nachdem offensichtlich war, dass Nawalny den Anschlag überlebt hatte, begaben sich eine der Führungskräfte und drei Mitarbeiter des FSB-Teams den Recherchen zufolge in die sibirische Stadt Gorno-Altajsk. Dort befindet sich das «Institut für Probleme chemischer und energetischer Technologien.» Diese beschäftigt Mitarbeiter, die darauf spezialisiert sind, Orte und Gegenstände nach dem Einsatz von chemischen Kampfstoffen zu reinigen.
Vermutlich nicht der erste Mordversuch
Möglicherweise handelte es sich bei dem Tötungsversuch im August nicht um den ersten Anschlag auf Nawalny. Dem «Spiegel» berichtete Nawalny von zwei Zwischenfällen, darunter einem im Juli 2020.
Während einer Privatreise mit seiner Ehefrau nach Kaliningrad habe diese Symptome ähnlich der seinigen im August gezeigt. Sie habe sich aber kurz darauf wieder besser gefühlt. Mitglieder des identifizierten FSB-Teams hielten sich zeitgleich zum Ehepaar Nawalny in Kaliningrad auf.
Auf Fragen des «Spiegel» hätten bislang weder der FSB noch die verdächtigen Agenten geantwortet, schrieb das Nachrichtenmagazin.