Tag der Deutschen Einheit: So zerrissen ist der grosse Kanton
Vor genau 28 Jahren wurde aus BRD und DDR wieder ein vereintes Deutschland. Vereint sind die deutschen Bundesländer heute allerdings weniger denn je.
Das Wichtigste in Kürze
- Heute vor 28 Jahren verschmolzen BRD und DDR offiziell wieder zu einem Deutschland.
- Doch so einig, wie die Jubelfeiern suggerieren, ist das Land bis heute nicht.
Seit 28 Jahren ist Deutschland offiziell wieder ein einig Land. Weder Stacheldraht noch Mauer trennen Ost und West. Die Deutsch-Deutsche-Trennung – aus und vorbei. Die DDR – Geschichte.
Unter dem Motto «Nur mit Euch» feiert der grosse Kanton seinen heutigen «Tag der deutschen Einheit». Doch so vereint, wie die Jubelfeiern den Anschein haben, ist unser nördlicher Nachbar bei weitem nicht. Dass Kanzlerin Merkel sich mehr Beine ausriss, als sie überhaupt zum Stehen hat, um eine Grosse Koalition zusammen zu bringen, ist mehr als nur ein Hinweis darauf.
Der Graben von Chemnitz
Am deutlichsten zu Tage trat die Spaltung der deutschen Gesellschaft, als in Chemnitz Anhänger von AfD, Pegida und neonationalistischen Vereinigungen auf der Strasse die Rechte stramm zum Hitlergruss erhoben, während die Polizei wegsah. Gleichzeitig lief ein Sturm der Empörung durch einen anderen Teil der deutschen Gesellschaft. Er manifestierte sich online unter dem Hashtag #wirsindmehr und tatsächlich beim Solidaritäts-Konzert in der sächsischen – also ostdeutschen - Stadt. Das Publikum war unter anderem aus dem benachbarten Ausland und aus dem Westen des Landes angereist.
Wie kann es sein, dass die Kanzlerin Willkommenskultur zelebriert, während ihre Bevölkerung Angst vor einer Übervölkerungswelle hat? Dass die Bayern die Sachsen nicht mehr zu verstehen scheinen und Berlin ob dem Spagat schier zerrspringt? Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist auf den Bankkonten der «Ossis» zu finden – oder genauer: eben nicht.
Schlusslicht Ost-Deutschland
Den Bundesländern der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone geht es wirtschaftlich heute so schlecht, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Was früher DDR war, bleibt bis heute pleite. Nun sind Ausschreitungen wie Chemnitz nicht gerade ein Katalysator für mehr Investoren und damit ein gesteigertes Bruttosozialprodukt.
Vielmehr sind sie ein Katalysator für die Wut. Woher die kommt? 28 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Löhne und auch die Renten im Osten noch immer tiefer, als im Westen. Abwanderung ist die Folge. Denn statt die «neuen» Bundesländer tatsächlich neu aufzubauen, hat man in den Neunzigerjahren einfach versucht, sie einzugliedern.
Das schmale Portemonnaie geht Hand in Hand mit einem dünnen politischen und gesellschaftlichen Auftritt. «Viele Ostdeutsche nehmen fehlenden Respekt vor ihrer Lebensleistung und ihren Erfahrungen wahr», sagte der Berliner Regierungschef Michael Müller (SPD) kürzlich im Rahmen der Vorbereitungen zur Einheits-Feier.
Die Schatten-DDR
Wenn sich nun ein Bevölkerungsteil weder verstanden, noch gut bezahlt oder politisch repräsentiert fühlt, ist er mehr als offen für neue Alternativen. Dass also eine ebensolche, die Alternative für Deutschland (AfD) und die Pegida gerade in den neuen Bundesländern einen so hohen Wähleranteil sichern konnten, erstaunt nicht. Ob aus Trotz oder Überzeugung, färbt man die Karte Deutschlands nach den letzten Wahlergebnissen ein, tritt ein dunkler Schatten hervor, dessen Umrisse arg an die Grenzen der ehemaligen DDR erinnern. Dazu gesellen sich einige Sprenkel ausserhalb.
Was hilft? Der Osten und seine Bevölkerung brauchen «mehr Anerkennung und Verständnis» aus dem Westen, so Müller. Doch hilft es wirklich, wenn der Westen sich einem gütigen Vater gleich zum Osten beugt und ihn ein klein wenig tätschelt? Bevor er sich wieder anderen Problemen zuwendet. Den Migrantenverbänden zum Beispiel, die einen «Tag der deutschen Vielfalt» fordern.
Tag der deutschen Vielfalt
«Nur mit Euch» lautet das Motto der diesjährigen Einheits-Feier. Das euch meint alle Deutschen, es meint Europa, es meint die Migranten, es meint «gemeinsam schaffen wir das». Doch wie kann ein «wir» so viele Parteien einschliessen, wenn sich bereits die primär gemeinten, die Deutschen nämlich, nicht angesprochen fühlen?
Ist es an der Zeit, Vielfalt zu zelebrieren? Oder täte Deutschland besser daran, sich nach seiner Einheit umzusehen? Eine Frage, die sich auch die Linke stellt. Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, hat eine Antwort darauf gesucht. Im Moment lautet sie «Aufstehen». Eine Bewegung, die Deutschland endlich zu einem einig Land vermischen soll.
Bis es aber tatsächlich so weit ist, schreibt eine Kollegin der «Zeit»: «Schafft sie doch endlich ab, diese Feste zum 3. Oktober! Sie passen so, wie sie sich sicher die meisten gewünscht haben, also als Tage des Jubels, einfach nicht mehr in unsere Zeit. Und gerade in diesem Jahr ist doch wahrlich niemandem zum Feiern zumute.»