Formel-1-Standort Deutschland als Auslaufmodell

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Schumacher, Vettel und ein irre buntes RTL-Spektakel - das waren die fetten Jahre für die Formel 1 in Deutschland. Diese Zeiten sind bald endgültig vorbei. Oder kommt doch bald der nächste PS-Boom?

Vertritt momentan noch die deutschen Farben in der Formel 1: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel. Foto: Fabian Sommer/dpa
Vertritt momentan noch die deutschen Farben in der Formel 1: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel. Foto: Fabian Sommer/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Vom Bestseller zum Auslaufmodell: Ungebremst steuert der Formel-1-Standort Deutschland einer tiefen Zäsur entgegen.

Nach dem Abschied von Sebastian Vettel bei Ferrari könnte 2021 erstmals nach 30 Jahren wieder kein deutscher Pilot in der Rennserie dabei sein.

Und durch den jetzt angekündigten Ausstieg von RTL verschwindet die Königsklasse des Motorsports dann auch nach drei Jahrzehnten weitgehend aus dem frei empfangbaren Fernsehen. Die Boom-Zeiten sind schon länger vorbei, nun könnte die Formel 1 im Autoland zurück in die Nische fahren.

«Es wäre nicht die erste Sportart, die es eine Zeit lang ein bisschen schwerer hat, das ist nun mal der Lauf der Zeit», sagte der einstige Grand-Prix-Sieger Ralf Schumacher der Deutschen Presse-Agentur. Der 44-Jährige dürfte dabei auch ans Tennis denken, das in Deutschland schon lange nicht mehr an die fetten Jahre mit Boris Becker, Steffi Graf und Michael Stich anknüpfen konnte. Schumacher selbst war lange Teil der goldenen Formel-1-Ära - und stand doch immer im Schatten von Bruder Michael, der als Rekordweltmeister zum Superstar aufstieg.

Eng verbunden war diese Blütezeit mit dem PS-Spektakel bei RTL, das auf dem Höhepunkt der Schumacher-Ära im Schnitt mehr als zehn Millionen Deutsche sonntags vor die Fernseher zog. Als Sinnbild für den schillernden und bisweilen etwas irren Grand-Prix-Zirkus brachte es Boxengassen-Reporter Kai Ebel im meist knallbunten Outfit zum TV-Dauerbrenner. «Diese Hingabe, die Michael geschenkt wurde und sich auch im Interesse an unserer Berichterstattung gezeigt hat: Das waren Dimensionen, in die man nicht wieder vorgestossen ist und die es ganz sicher auch nie wieder geben wird», sagte der langjährige RTL-Moderator Florian König der «Süddeutschen Zeitung».

Aus und vorbei. Mit ein paar Geisterrennen in der am 5. Juli in Österreich beginnenden Notsaison nimmt RTL Abschied vom einstigen Quotenhit. «Natürlich fehlt was. RTL und Formel 1 hat ja lange zusammengehört», sagte selbst Ralf Schumacher, der inzwischen als Experte bei Sky die Rennserie analysiert. Der Sender überträgt die Formel 1 vom nächsten Jahr an exklusiv im Bezahlfernsehen, nur noch vier Rennen muss Sky frei empfangbar ausstrahlen.

Auch auf deutschen Rennstrecken werden die Fans die Formel 1 nach insgesamt 78 Gastspielen wohl so bald nicht mehr sehen. Die hohen Antrittsgagen für die Rennserie lassen sich in Hockenheim oder am Nürburgring nicht mehr durch Ticket-Einnahmen einspielen. «Die Formel 1 ist blass geworden vom Image her», sagte Jochen Mass der dpa. Der 73-Jährige bestritt selbst 105 Grand Prix, war im Sportwagen Michael Schumachers «Fahrlehrer» und erlebte als Co-Kommentator die RTL-Anfangsjahre mit. Ihm sei klar gewesen, «dass das Ganze irgendwann mal einen Einbruch erleben muss», versicherte Mass.

«Die Haltung gegenüber dem Auto hat sich in der Öffentlichkeit geändert. Es ist relativ schwer, es den Leuten noch sympathisch zu verkaufen», erklärte Mass die abgeflaute Formel-1-Begeisterung des Publikums in Deutschland und die gesunkene Bereitschaft bei Geldgebern, in den teuren Sport und den Nachwuchs zu investieren. Die Grossthemen Klimaschutz und Elektromobilität haben längst auch die Formel 1 eingeholt.

Das hat auch der frühere Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug erkannt. «Vielleicht hängt das auch mit einer hierzulande extrem betriebenen Kampagne gegen das Auto zusammen», sagte der 67-Jährige und fügte mit Wehmut hinzu: «Ich erinnere mich mit Freude an die Zeiten, als deutsche Fahrer wie Schumacher, Vettel und Nico Rosberg in zwei Jahrzehnten zwölf Weltmeistertitel holten und die Welt Deutschland dafür bewunderte, genauso wie dafür, mit dem Mercedes-Silberpfeil die Messlatte für alle anderen zu sein.»

Vor zehn Jahren war Haug noch mittendrin in dieser Erfolgsgeschichte. Mercedes kehrte mit einem Werksteam in die Formel 1 zurück, Michael Schumacher gab im Silberpfeil ein sensationelles Comeback. Phasenweise fuhren sieben Deutsche mit - und am Ende der Saison holte Vettel den ersten seiner vier WM-Titel. Im Juni 2020 ist die Zukunft Vettels völlig ungewiss, eine Formel-1-Auszeit oder sogar ein endgültiger Rückzug durchaus wahrscheinlich.

Die Leerstelle könnte mittelfristig wieder ein Schumacher füllen. Mit diesem Namen verbinden sich weiter die grössten Hoffnungen deutscher Fans und Motorsport-Vermarkter. Michael Schumachers Sohn Mick gilt als nächster deutscher Anwärter auf ein Formel-1-Cockpit. Dafür muss sich der 21-Jährige aber erst einmal in der Formel 2 durchsetzen. «Die Chancen sind da, das Talent ist da, jetzt muss man nur abwarten, dass auch die Resultate kommen», sagte sein Onkel Ralf Schumacher.

Insgesamt aber sei die Nachwuchsarbeit im deutschen Motorsport «schon etwas länger vernachlässigt worden», bemängelte Schumacher. Dieser Zustand könnte sich durch die Corona-Krise noch verschärfen, da die Automobilindustrie mit Absatzeinbussen kämpft. «Wenn ein Vorstand entscheiden muss, ich muss Leute entlassen oder mir ein Formel-1-Projekt leisten, dann wird das keine einfache Entscheidung», sagte Schumacher.

Zumindest die Schumacher-Familie setzt indes weiter voll auf die Karte Motorsport. Sollte Mick der ganz grosse Durchbruch doch versagt bleiben, ist da ja noch Ralf Schumachers Sohn David. Der 19-Jährige hat es bereits die Formel 3 geschafft, fuhr jüngst sogar schon in der virtuellen Formel-1-Serie mit und gilt bei manchen Experten sogar als etwas talentierter als sein Cousin. Und so könnte ein neuerlicher Formel-1-Aufschwung in Deutschland wieder an einem Schumacher hängen.

© dpa-infocom, dpa:200623-99-531605/2

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