Kritik an UEFA: «Für den Tod vieler Menschen verantwortlich»
Tausende Fans feierten - oder trauerten - erst am Dienstag wieder im Londoner Stadion - trotz der Gefahr durch die Delta-Variante. Politiker blicken zunehmend sorgenvoll auf die EM-Spiele.
Das Wichtigste in Kürze
- In der Diskussion um die Zuschauerzulassung bei der Europameisterschaft wird die Kritik an der UEFA zunehmend lauter - und es gibt neue Zahlen zu Ansteckungen im Zusammenhang mit dem Turnier.
Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mahnte zur Vorsicht.
«Bei aller Freude über die spektakulären Spiele dieser EM halte ich es für bedenklich, wie viele Zuschauer inzwischen in einige Stadien gelassen werden», sagte Scholz der «Süddeutschen Zeitung». «Mühsam und unter grossen Anstrengungen haben wir die Pandemie in Europa in den Griff bekommen, das sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen.»
Bei der 0:2-Achtelfinal-Niederlage der deutschen Fussball-Nationalmannschaft gegen England waren am Dienstagabend 41.973 Zuschauer im Londoner Wembley-Stadion. Für die Halbfinals und das Endspiel sollen sogar 60.000 Zuschauer zugelassen werden. Weil die Corona-Zahlen durch die Delta-Variante zuletzt in Grossbritannien wieder stiegen, ist der Schritt umstritten. Die Europäische Fussball-Union solle ihr Konzept dringend überdenken, forderte Scholz.
Lauterbach sehr besorgt
Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äusserte sich besorgt. «Das Spiel hat gestern nochmal gezeigt wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien. Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende», schrieb Lauterbach bei Twitter. «Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich.»
Zahlen aus Schottland bekräftigen die Sorgen mit Blick auf die Ansteckungsgefahr: Dort lassen sich nach offiziellen Angaben knapp 2000 Corona-Fälle in Verbindung mit Spielen der EM bringen. Zwei Drittel von 1991 positiv Getesteten seien Fans, die entgegen der Ratschläge aus dem Norden zu Spielen nach London gereist seien, wie die Gesundheitsbehörde Public Health Scotland am Mittwoch mitteilte. Am 18. Juni hatten die Schotten in London gegen England gespielt. Knapp 400 Infizierte aus Schottland sollen im Stadion gewesen sein, während in der Innenstadt Tausende weitere Fans Strassen und Plätze bevölkerten.
Die Infektionszahlen beziehen sich auf positiv Getestete, die während ihrer ansteckenden Phase EM-Spiele oder Fan-Events besucht haben - und zwar zwischen dem 11. und dem 28. Juni. Drei Viertel der Infizierten waren der Behörde zufolge zwischen 20 und 39 Jahre alt, neun von zehn waren Männer.
Söder verärgert
Bereits zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gesagt, die Entscheidungen der UEFA seien «null nachzuvollziehen». «Das, was die UEFA jetzt macht, ist für mich nicht akzeptabel, dass einfach irgendwelche Zuschauerzahlen so imaginär erhöht werden, ohne Sinn und Zweck, dass dann sozusagen durch ganz Europa hier die Möglichkeit von Verbreitung besteht.» Das sei «nicht sinnvoll», und es widerspreche dem Grundcharakter der EM, kritisierte der CSU-Vorsitzende, nämlich «eine EM mit Freude und Vorsicht zugleich und eine EM mit gutem Gewissen» zu haben.
Vielen schauen nun besorgt nach St. Petersburg. Vor dem ersten Viertelfinalspiel zwischen der Schweiz und Spanien an diesem Freitag spitzt sich die Lage in der russischen Hafenstadt, die als Corona-Hotspot gilt, zunehmend zu. Vonseiten der UEFA seien aber keinerlei Änderungen oder gar eine Verlegung des Spiels geplant, erklärt die Europäische Fussball-Union auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. «Die finale Entscheidung bezüglich der Zuschauerzahl liegt immer bei den jeweiligen lokalen Behörden.»
Ein verschärftes Hygienekonzept für das Spiel am Freitag im Stadion sei nicht nötig, sagen die russischen Veranstalter laut Staatsagentur Tass. Es bleibe dabei: 50 Prozent der mehr als 60.000 Plätze in der Gazprom-Arena dürfen beim Spiel von Spanien gegen die Schweiz besetzt werden.