Sechsmal um die Welt: Oertel gratuliert Cierpinski zum 70.

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Deutschland,

Sein erster Gegner ist ein Schulbus, er holt zweimal Olympia-Gold - und auf den berühmten «Waldemar» wird der Marathonläufer heute noch sehr oft angesprochen. Schuld daran ist Kultreporter Heinz Florian Oertel. Am 3. August feiert Waldemar Cierpinski seinen 70. Geburtstag.

Waldemar Cierpinski, zweimaliger Marathon-Olympiasieger, wird am 3. August 70 Jahre alt. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
Waldemar Cierpinski, zweimaliger Marathon-Olympiasieger, wird am 3. August 70 Jahre alt. Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die berühmtesten drei Sätze seiner langen Reporterkarriere schickte Heinz Florian Oertel dem Jubilar als Geburtstagsgruss von Berlin nach Halle - und wünschte Waldemar Cierpinski dann noch «alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen».

Selbst kann der 92-Jährige nicht zur Party des zweimaligen Marathon-Olympiasiegers in die Saalestadt kommen. Aber Oertel wird am 3. August an seinen jungen Freund denken, der seinen 70. feiert. «Und ich würde es noch einmal sagen: Liebe junge Väter oder angehende - haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages Waldemar! Waldemar ist da!»

Ganz klar: Oertel muss im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur beim Stichwort «Waldemar» sofort an seine Kultstatus-Reportage der Olympischen Spiele in Moskau denken. Mit drei prägnanten Sätzen in neun Sekunden hatte er Cierpinski und sich selbst am 1. August 1980 ein kleines Denkmal gesetzt. Auch das erste Goldrennen des drahtigen Dauerläufers - 1976 in Montreal - hatte Oertel kommentiert. «So zwei bis drei», sagt der betagte Pensionär «HFO», gehe es ihm heute.

«O weh, dachte ich - schon 70?», schreibt Cierpinski im Vorwort seines Buchs «Nennt Eure Söhne Waldemar». Auf 64 reich bebilderten Seiten schildert er seine beiden Goldläufe - und die Begegnungen mit 19 Wegbegleitern, DDR-Olympioniken der Sommer- und Winterspiele 1976 und 1980. Eine berührende Widmung kommt von Äthiopiens Wunderläufer Haile Gebrselassie. Der MDR drehte eine Dokumentation («Legenden») über Cierpinskis Deutschland-Tour: Der Film läuft zur besten Sendezeit: am 2. August um 20.15 Uhr.

«Diese Begegnungen haben mich sehr berührt», sagt Cierpinski im dpa-Gespräch über seine Tour durch den Osten der Republik, die ihn bis auf die Insel Rügen zu Bob-Olympiasieger Meinhard Nehmer führte. «Da hat sich gezeigt, dass Menschen, die im Sport gross geworden sind, auch heute noch ihren Mann oder ihre Frau stehen.»

Die geplante ganz grosse Party mit rund 150 Gästen in der Hallenser Kulturinsel muss wegen Corona ausfallen. Jetzt erst recht, dachte Cierpinski wohl - und feiert nun gleich mehrfach: Montagvormittag in seinem Hallenser Sportgeschäft mit Bekannten und Geschäftsfreunden, abends dann im erweiterten Familienkreis, am Mittwochabend mit seiner Fussballtruppe. «Das wird ganz gemütlich mit 20 Leuten. Ich gebe auch einen aus - aber erst nach dem Training», meint der Marathon-Mann, der seit 40 Jahren «zwei- bis dreimal in der Woche» Fussball spielt.

Nach der Tour von Erfurt bis zum Kap Arkona hat Cierpinski noch einmal nachgerechnet. «Mit diesem Lauf hat mein Tacho jetzt die 250.000 gelaufenen Kilometer überschritten. Und auch diesmal fielen mir nicht alle Kilometer leicht», schreibt er in seinem Buch. Mehr als 250.000 Kilometer, das sind 6000 Marathonläufe. Sechsmal um die ganze Welt! Und die Taschen (frei nach Karel Gott) voller Geld?

Nein. Und das ist für Cierpinski, der gespart hat, ein Haus hat und dem es gut geht, auch nicht so wichtig. Stolz und glücklich spricht er von seinen drei grossen Söhnen und den drei «Enkelchen», die alle in Halle sind, «und das ist schön. Das macht Spass.»

Mit 1000 D-Mark waren Cierpinski Senior und Sohn Falk 1990 als mutige Selfmade-Unternehmer gestartet. Junior Falk ist Geschäftsführer, er hat das Sportgeschäft in der Hallenser City im Frühjahr, so gut es ging, durch die Corona-Krise gesteuert.

«Ich kriege jetzt 430 Euro Rente, an Sozialabgaben zahle ich 490 Euro», erzählt Cierpinski ohne Groll. «Die Lebensversicherung musste ich in den allerschlechtesten Zeiten, als mein Laden fast krachen gegangen war, auflösen und in mein Geschäft reinstecken», schildert er. «Darüber heul' ich aber auch nicht. Ich komme klar - und alles andere ist nicht so wichtig.»

Wie fing damals eigentlich alles an? Cierpinski muss lachen. «Als Kind habe ich geboxt, geturnt und war leidenschaftlicher Angler. Ich konnte aber auch ganz schnell laufen», erzählt er. «Dann sagte mein Vater: Jetzt ist Schluss mit lustig - entscheide dich für eins!» Der Junge wählt das Laufen, die Leichtathletik - der stille Startschuss für seine erfolgreiche Sportkarriere.

Schon mit 14 feiert Cierpinski seine ersten Siege - im Drei-Kilometer-Ehrgeizrennen gegen den Schulbus. «Ich war meist vor dem Bus zu Hause!» Auch viele 500-Meter-Läufe zum Eismann, der am Ende des Dorfes lautstark läutete, hat er damals gewonnen. Der süsse Lohn: eine Kugel Eis.

Bis heute ist der Ostblock-Boykott von 1984 das Negativ-Erlebnis seines Sportlerlebens. «Ich wollte zum dritten Mal nach den Sternen greifen!», verrät Cierpinski, der in seiner Wettkampfkarriere «27 oder 28» Marathonläufe à 42,195 Kilometer absolviert hat - sowohl sein Debüt im Jahr 1974 als auch den letzten (1985) im slowakischen Kosice. Unglaublich: Mit seinen 2:09:55 Stunden von Montreal ist der Hallenser bis heute die Nummer sechs der DLV-Bestenliste.

Ehefrau Maritta hatte ihren Mann einst zum Wechsel von der Hindernis- auf die Marathonstrecke «überredet», seit 47 Jahren sind die beiden nun schon ein Paar. Stolz ist der Vater auch auf Sohn Falk, der selbst ein Top-Marathonläufer und guter Triathlet war. «Wir halten immer noch den inoffiziellen Familien-Weltrekord im Marathon», erzählt Cierpinski Senior. Ihre Bestzeiten addiert: 4:23:25 Stunden.

«Positiv war, dass man gerade auch nach der Wende beweisen konnte, dass ein Sportler nicht nur laufen kann, sondern dass man auch ein paar ordentliche Dinge aufbauen konnte wie den Mitteldeutschen Marathon, und mein Geschäft natürlich», schildert er. «Und dass ich nach wie vor eine Unmenge von sympathischen Fans und Freunden habe. Und das ist vielleicht wichtiger, als eine hohe Rente zu kriegen.»

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