Vettel am «Scheideweg» seiner Formel-1-Karriere
Auch dieses Jahr läuft es nicht für Sebastian Vettel. Zehn Rennen in der Formel 1, null Siege, 100 Punkte Rückstand auf die WM-Spitze. Bei Ferrari hat der Hesse gerade nur sehr wenig Grund zur Freude.
Das Wichtigste in Kürze
- Sebastian Vettel mühte sich redlich, dem punktlosen Desaster von Silverstone irgendwie noch etwas Positives abzugewinnen.
Doch mit nun 100 Zählern Rückstand auf Dominator Lewis Hamilton muss der Ferrari-Star den ersehnten fünften WM-Titel in der Formel 1 frühzeitig abhaken.
Der Heppenheimer wirkt bei der Scuderia zunehmend verzweifelt und desillusioniert. Anstatt im fünften Jahr mit den Italienern endlich Dauersieger Mercedes zu bezwingen, ist der 32-Jährige in Grossbritannien am emotionalen Tiefpunkt angekommen.
Vettel «steht an einem Scheideweg seiner Karriere», schrieb die Schweizer Boulevardzeitung «Blick» am Montag: «Rücktrittsgerüchte Ende Saison werden nicht leiser. Die endlose Diskussion geht weiter. Hört Vettel tatsächlich auf?» Davon will der gefrustete Rennfahrer zwar nichts wissen und seinen Vertrag bis Ende 2020 erfüllen. Mit Fragen zu diesem Thema wird er nun aber häufiger konfrontiert werden.
«Schwierig», antwortete Vettel auf die Frage, wie er seine bisherige Saison in einem Wort zusammenfassen würde. Doch das ist ziemlich untertrieben. Eigene Fehler bei hohem Druck, fehlende Leistung seines Autos oder Patzer des Teams - viel zu viel lief in den ersten zehn von 21 Rennen schief. Seit fast elf Monaten wartet der viermalige Weltmeister schon auf einen Grand-Prix-Sieg. Schnelle Besserung scheint nicht in Sicht, auch wenn er selbst immer noch sagt: «Ich bin nicht beunruhigt, wünsche mir aber auch bessere Resultate.»
In Silverstone hatte er immerhin die Chance auf das Podest, fuhr Max Verstappen bei einem gewagten Überholmanöver aber so hart ins Heck, dass beide von der Strecke flogen. Verstappen im Red Bull wurde noch Fünfter, Vettel blieb als 16. erstmals seit einem knappen Jahr ohne WM-Punkte. «Wir hatten ein besseres Ergebnis erwartet», sagte Teamchef Mattia Binotto und ergänzte: «Wir haben Arbeit vor uns.»
Dieser Satz ist bei der Scuderia aktuell Rennen für Rennen zu hören, doch richtig voran geht es nicht. Mercedes spielt weiter in einer eigenen Liga und holte schon den achten Saison-Doppelerfolg. Zu allem Überfluss hat Red Bull auch noch zu Ferrari aufgeschlossen und wird zur grossen Bedrohung für das Werksteam, dem zumindest eines etwas Hoffnung macht: Die Leistungen von Youngster Charles Leclerc.
Dass ihm die rote Zukunft gehört, wird immer klarer. Bereits zum dritten Mal nacheinander landete der 21 Jahre alte Monegasse vor Vettel, am Sonntag hinter Hamilton und Valtteri Bottas auf Platz drei. In der Gesamtwertung trennen Vettel und Leclerc nur noch drei Punkte, der Deutsche steht mit 123 Zählern nur (noch) minimal besser da. Die vor der Saison ausgegebene Einteilung einer Nummer eins (Vettel) und zwei (Leclerc) bröckelt mehr und mehr. Binotto sagte, der Rennstall werde genau beobachten, wann sich an diesem Status etwas ändert. Bei engen Rennentscheidungen erhielt Vettel bislang den Vorzug.
Der Hesse schien den Grand Prix in Silverstone so schnell wie nur irgendwie möglich vergessen zu wollen. Während der Analyse bei einer Pressekonferenz im Fahrerlager verfolgte er auf dem Handy lieber den Liveticker des Wimbledon-Finals und flüsterte zwischendurch sogar «Zwei Matchbälle!» zu Binotto. Auch bei der Beantwortung der Fragen schaute er immer wieder auf einen TV-Bildschirm und liess sich ablenken, ehe er kurz darauf recht nachdenklich die Heimreise antrat.
Eine einwöchige Pause bleibt Vettel, ehe es zum Heimrennen nach Hockenheim geht. «Ich freue mich darauf», sagte er. Abschreiben solle man ihn nicht, sagte ausgerechnet sein ärgster Widersacher. «Er ist einer der Grossen dieses Sports. Er wird stärker zurückkommen, davon bin ich überzeugt», betonte Mercedes-Fahrer Hamilton: «Das machen grossartige Athleten so - und er ist einer davon.»
Der 34-Jährige rast nach seinem siebten Sieg des Jahres in seiner Heimat WM-Titel Nummer sechs entgegen. So stark wie 2019 war er dabei nie zuvor. Aber enge Duelle mit der weiter schwächelnden Scuderia und Vettel fehlen dem Briten dabei kein bisschen. «Ich vermisse vielleicht meine Hunde, aber sicher nicht das», sagte Hamilton.