Dopingskandal ungewisser Dimension - DOSB hofft auf Klarheit
Der Doping-Skandal von Seefeld könnte Ermittlungen bis in die Anfänge der 2000er-Jahre nach sich ziehen. Dieser Ansicht ist Kai Gräber, Leiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft München. Nach fünf Ski-Langläufern wird gegen einen Radprofi aus Österreich ermittelt.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Dimension des Doping-Skandals von Seefeld und der Umfang der Ausweitung auf andere Sportarten ist längst noch nicht abzuschätzen.
Die mutmasslichen Doping-Praktiken des verhafteten Erfurter Sportarztes sollen laut der Schwerpunktstaatsanwaltschaft München schon Anfang der 2000er-Jahre begonnen haben. «Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir noch viel weiter zurückgehen werden im Laufe der Ermittlungen», sagte der Leiter der bayerischen Ermittlungsbehörde Kai Gräber im Interview der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Er glaube, dass das «in die Anfänge der Jahre 2000 zurückreichen dürfte.»
Gräber hoffe, dass die vom Rechtsanwalt des deutschen Arztes Mark S. angekündigte Kooperationsbereitschaft auch die Decodierung der Namen auf den in Erfurt beschlagnahmten 40 Blutbeuteln umfasse. Er geht zudem «sehr stark» davon aus, dass weitere Sportarten betroffen seien.
Ob man die Machenschaften des Erfurter Mediziners als «kriminelles Netzwerk» bezeichnen kann, hält Gräber für etwas übertrieben. «Aber ein Familienbetrieb ist es definitiv nicht, weil Beteiligte mit eingeschaltet waren, die nicht zur Familie gehören», erklärte er.
Der Staatsanwalt wisse weiterhin nicht, ob Deutsche unter den Kunden von Mark S. waren. «Ich formuliere es so: Mir liegen bislang keine Erkenntnisse vor, dass deutsche Athleten zum illegalen Patientenstamm des Beschuldigten gehört haben.»
Der Deutsche Olympische Sportbund hofft, so schnell wie möglich Klarheit über eine Verstrickung zu bekommen. «Seitens des DOSB kann ich sagen: Hoffentlich gibt es bald die notwendige Klarheit. Da sind wir nicht in Sorge, sondern in Vorfreude», sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann am Sonntag im ZDF. «Es gibt nichts Schlimmeres als die Phase der Spekulationen oder Interpretationen.» Bis zum jetzigen Zeitpunkt gebe es konkrete Hinweise auf deutsche Athleten noch nicht.
Hörmann betonte, dass der DOSB dankbar sei, wenn betrügerische Netzwerke und ihre Hintermänner und Verstösse von Athleten aufgedeckt und aufgeklärt werden. «Der DOSB wird mit aller Härte und Klarheit gegen diese Dinge vorgehen. Wir werden alle Mittel ausschöpfen, die uns juristisch zur Verfügung stehen», sagte er.
Um solche Doping-Betrügereien im grösseren Stil aufzudecken, bedarf es «offenkundig doch der staatlichen Verfolgung und Begleitung», meinte Hörmann mit Hinweis auf das Anti-Doping-Gesetz, dessen Einführung lange auch im DOSB umstritten war. «Deshalb muss unser Ziel sein, alle Kräfte des Sport im Sinne der Aufklärung mit denen der öffentlichen Hand zu kombinieren und gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass Fair Play gesichert wird», erklärte er.
Nachdem im Zuge einer Doping-Razzia bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld am Mittwoch fünf Langläufer festgenommen worden waren, die alle Eigenblutdoping gestanden haben und wieder auf freiem Fuss sind, bestätigte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am Sonntag Ermittlungen gegen einen Tiroler Radprofi. Der 31-Jährige gab demnach bei Einvernahmen ebenfalls zu, Blutdoping angewandt zu haben.
Eine Klage droht dem bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi des Dopings überführten Langläufer Johannes Dürr. Der Österreicher hatte mit seinen Aussagen die Razzien in Seefeld und Erfurt ausgelöst. Nun will ihn der Langlauf- und Biathlon-Chef des österreichischen Ski-Verbandes, Markus Gandler, verklagen, weil Dürr in einer ARD-Dokumentation behauptet hat, dass er bei seinen Doping-Praktiken auch vom Personal des ÖSV unterstützt worden wäre. Dies kündigte er in der Ö3-Sendung «Frühstück bei mir» am Sonntag an.
Unterdessen ist man in Deutschland und Österreich besorgt um die Glaubwürdigkeit des Sports. DSV-Präsident Franz Steinle beklagt, dass durch Aufdeckung des Doping-Skandals auch der Deutsche Skiverband wieder thematisiert wird. «Uns tut es etwas weh und uns verärgert es etwas, dass man nicht hinreichend differenziert zwischen einem Netzwerk und dem Sport als solchem. Wir haben mehrfach betont, dass nach unseren Recherchen im DSV kein Athlet in irgendeiner Betreuung bei diesem Arzt ist», sagte Steinle bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld. Er können «von ganzem Herzen» sagen, dass der DSV eine Null-Toleranz-Politik habe, was Doping angehe.