Fabian Cancellara: Zur Reusser-Aufgabe hätte es nicht kommen dürfen
Auch Olympiasieger Fabian Cancellara hat in seiner Radkarriere schwierige Phasen erlebt. Für die WM-Aufgabe von Marlen Reusser zeigt er teilweise Verständnis.
Das Wichtigste in Kürze
- Fabian Cancellara (42) will als Team-Boss bei Tudor Pro Cycling nahe an den Fahrern sein.
- Er glaubt, dass die WM-Aufgabe von Marlen Reusser zu verhindern gewesen wäre.
- Cancellara selber nahm während der Karriere auch Hilfe in mentalen Aspekten in Anspruch.
2016 ist der Schweizer Rad-Star Fabian Cancellara zurückgetreten. Doch um den 42-Jährigen ist es nicht ruhiger geworden – im Gegenteil. Mittlerweile führt er mit Tudor-Cycling sein eigenes Rad-Team.
Das passe ihm besser, als nur den Ambassador zu spielen, erklärt der Berner. «Ich brauche Aufgaben, die mich glücklich machen», sagt Cancellara der «Berner Zeitung». «Und ich will den Radsport fördern.»
Als Team-Besitzer ist der Olympiasieger immer noch mitten im Geschäft und hat auch die WM verfolgt. Wie hätte er als Verantwortlicher auf die Aufgabe von Marlen Reusser reagiert? Die Bernerin fühlte sich mitten im Rennen mental nicht mehr bereit – war aber auf Medaillenkurs.
«Das ist eine schwierige Frage. Ich bin Aussenstehender und weiss nicht, was bei ihr im Detail geschehen ist. Doch für mich ist klar, dass es so weit gar nicht hätte kommen dürfen», so Cancellara. Er habe in seinem Team den Anspruch, oft und ausführlich mit den Fahrern zu sprechen, hinter die Fassade zu blicken.
Fabian Cancellara: «Vielleicht hat man die Alarmglocken überhört»
Fabian Cancellara vermutet, dass man bei Marlen Reusser nur auf die Leistungsdaten geschaut habe. Weil diese für einen sehr wahrscheinlichen Medaillengewinn sprachen, habe man vielleicht die Alarmglocken überhört. «Ich hoffe, dass diese Geschichte jetzt nicht zu einer Zeitfahr-Blockade bei ihr führen wird.»
Auch Cancellara selber hatte während seiner langen und erfolgreichen Karriere mit mentalen Problemen zu kämpfen. 2012 habe er ein Seuchenjahr erlebt, das habe sogar auf das Familienleben ausgestrahlt. «Ich merkte: Ich bin nicht voll da, bin nicht der lustige Papa, der ich sonst bin, mag nicht mit den Kindern herumalbern.»
Deswegen habe er sich Hilfe geholt. «Danach ging ich zu einem Mentaltrainer, oder Coach oder Psychologen – wie man dem auch sagen will. Es war eine schwierige Zeit, die mich geprägt hat. Aber es war wichtig, dass ich nicht den Macho rausgehängt habe. Nur um zu zeigen, dass ich keine Hilfe nötig habe.»
Cancellara kann Reussers Problem nachvollziehen, hat ähnliche Situationen erlebt. «Auch Profis sind keine Roboter. In gewisser Weise kann ich Marlen verstehen.»
Doch der Ex-Rad-Profi fügt an: «In gewisser Weise aber auch nicht. Sie hätte wohl durchfahren und Bronze holen können. Wie gesagt: Als Chef hätte ich das Ganze primär verhindern wollen.»