Die jungen Schweizerinnen wollen Exploit schaffen
Diesen Freitag um 14.30 Uhr startet das Schweizer Volleyballnationalteam gegen Deutschland in eine historische Europameisterschaft. Noch nie konnten sich die Schweizerinnen sportlich für eine EM-Endrunde qualifizieren.
Nicht zuletzt deshalb ist das Team von Timo Lippuner in Bratislava krasser Aussenseiter – mit der Hoffnung auf einen Exploit. Am Freitag, 23. August, um 14.30 Uhr dürfte der Puls von vierzehn Schweizerinnen höher sein als normalerweise um diese Zeit.
Dann nämlich erleben die Schweizer Volleyballerinnen ihre ersten Minuten als Spielerinnen an einer EM-Endrunde. Als die Schweiz im Jahr 2013 als Gastgeberin an der damaligen Europameisterschaft teilnehmen durfte, war noch keine Spielerin aus dem aktuellen Kader dabei.
Deshalb überrascht es nicht, dass die jungen Schweizerinnen (Altersschnitt 21 Jahre) als klare Aussenseiterinnen ins Turnier starten. Trotzdem strotzen sie vor Vorfreude und Selbstvertrauen und geben sich nicht mit der Statistinnenrolle zufrieden.
Captain Laura Künzler (22 Jahre) stellt klar: «Klar, die EM-Teilnahme ist für alle von uns ein Traum. Das reicht uns jedoch nicht, wir trainieren seit vielen Wochen intensiv, um in Bratislava unsere Bestleistung abrufen zu können. Wir sind überzeugt, dass wir einen Exploit schaffen können!» Von den sechs Teams in der Gruppe qualifizieren sich vier für die Achtelfinals.
Ziel ist gegen Spanien und die Slowakei Punkte zu holen
Im Kampf um diesen vierten Gruppenrang ist die Schweiz deshalb auf Punkte gegen die ebenfalls stärker einzustufenden Teams aus der Slowakei und Spanien angewiesen. Dementsprechend liegt auch der Fokus der Schweizerinnen auf diesen beiden Spielen.
Nationaltrainer Timo Lippuner erklärt: «Russland, Deutschland und Weissrussland sind uns ganz klar überlegen. Unser Ziel ist deshalb, auf dem bestmöglichen Niveau zu spielen und so mit etwas Glück gegen Spanien und die Slowakei Punkte zu holen.».
Auch wenn Headcoach Timo Lippuner das Team nach der EM verlässt ist die Zukunft der jungen Gruppe vielversprechend. Sollte der Kern zusammenbleiben, könnte die Europameisterschaft der Anfang einer schönen und spannenden Geschichte im Schweizer Frauenvolleyball werden.
Deutschland (Freitag, 23.08.2019, 14.30 Uhr)
Als erster Gegner wartet in Bratislava das Nachbarsland Deutschland. Das deutsche Team liegt im europäischen Ranking auf Platz 6, weltweit auf Platz 15.
Mit Lina Alsmeier, Linda Bock, Kimberly Drewniok, Pia Kästner, Ivana Vanjak und Camilla Weitzel dürfen sechs der 14 Spielerinnen dieses Jahr ihre erste Europameisterschaft bestreiten. Das junge, aber dennoch sehr erfahrene deutsche Team wird von Captain Denise Hanke geführt.
Hanke vertrat Deutschland bereits im Jahr 2013 bei der EM im eigenen Land. Die Zuspielerin hat sich im Volleyball schon vor einiger Zeit einen Namen gemacht: Bereits vor 10 Jahren wurde die Berlinerin zur besten Zuspielerin, besten Aufschlagspielerin und zweitbesten «Aufsteigerin des Jahres» gewählt.
Unter den Spielerinnen befindet sich neben Starspielerin Louisa Lippmann auch ein weiteres in der Schweiz bekanntes Gesicht: Nachdem Anna Pogany 2014 deutsche Pokalsiegerin und deutsche Vizemeisterin wurde, kam sie 2017 in die Schweiz, und spielte eine Saison als Libera im NLA-Team von Sm’Aesch Pfeffingen. Headcoach Felix Koslowski wird an der Seitenlinie von Andreas Vollmer und Nicki Neubauer unterstützt.
Vollmer ist Cheftrainer bei Sm’Aesch Pfeffingen, Neubauer bei VC Kanti Schaffhausen. Als grösste Herausforderung sieht Bundestrainer Felix Koslowski hauptsächlich das Spiel gegen Russland.
Das Nachbarsduell gibt der Schweiz die Chance, sich als unerwartete Knacknuss zu entpuppen. Timo Lippuners Einschätzung: «Deutschland ist in der Gruppe nominell das zweitstärkste Team. Neben Lippmann sind Geerties und Hanke die Leistungsträgerinnen. Deutschland ist ein solides Team mit schnellem Spiel, das auch gegen Topteams immer mal wieder für Überraschungen gut ist. Wir treten als klarer Aussenseiter an und wollen mit guten Aufschlägen versuchen, ihre Mittelangreiferinnen aus dem Spiel zu nehmen. Für alle Spielerinnen ist dies die erste Partie an einer Europameisterschaft, wir freuen uns deshalb alle besonders auf dieses Spiel!»
Slowakei (Samstag, 24.08.2019, 20.00 Uhr)
Im europäischen Ranking steht der Gastgeber der EM 2019 auf dem 16 Rang. An der CEV Europameisterschaft 2015 erreichte das Nationalteam der Slowakei den 17. Rang, 2017 vielen sie zwei Ränge zurück.
Ihr Ziel der diesjährigen EuroVolley ist es, mit dem italienischen Coach Marco Fenoglio erstmals über die Gruppenphase hinaus ins Achtelfinal zu kommen. Mit Barbora Kosekova ist eine sehr erfahrene Spielerin Captain des Teams.
Die Zuspielerin ist das sechste Mal Teil des slowakischen Kaders an einer CEV Europameisterschaft. Zwei Spielerinnen dürften den Schweizer Volleyballfans bekannt sein: Karin Palgutova spielte in der Saison 2016/2017 in Lugano und Miroslava Kijakova überzeugte in der Saison 2014/2015 in Schaffhausen.
Einen Sieg gegen die Slowakei wäre für die Schweiz besonders wertvoll, wenn es darum geht, eine Chance zu wahren über die Gruppenphase herauszukommen. Als Gastgeber kann das slowakische Team in Bratislava auf besonders viel Unterstützung zählen.
Lippuner: «Zusammen mit Spanien ist die Slowakei für mich Anwärter auf den vierten Gruppenrang. Die Slowakinnen können über die beiden Aussenpositionen viel Power entwickeln, momentan fehlt ihnen allerdings noch eine starke Diagonalangreiferin. Die Rolle als Heimteam könnte der Slowakei einerseits Aufwind verleihen, andererseits jedoch auch grossen Erwartungsdruck auferlegen. An guten Tagen kann die Slowakei auch ein starkes Team gefährden, an anderen jedoch auch mal unerwartet verlieren. Um gegen das Heimteam vor vollen Rängen zu bestehen, brauchen wir eine Höchstleistung. Der Druck liegt jedoch ganz bei der Slowakei, auch der Ausgang ihres ersten Spiels gegen Spanien wird da einen wichtigen Einfluss haben.»
Russland (Sonntag 25.08.2019, 20.00 Uhr)
Als klarer Favorit der Gruppe gelten die Spielerinnen aus dem grossen Norden. Russland belegt im europäischen Ranking den dritten Platz und auch weltweit spielen sie ganz vorne mit. 2015 ging das russische Team als Sieger der Europameisterschaft hervor.
Für Russland war dies bereits die sechste Goldmedaille im kontinentalen Wettkampf. An der EM zwei Jahre später schied das russische Team gegen die Türkei im Viertelfinal aus.
Dieses Jahr erneut im Kader ist die Mittelblockerin Irina Koroleva. 2015 erhielt die Spielerin an der EM den Award als Beste Blockerin, zusammen mit der türkischen Mittelblockerin Eda Erdem Dündar.
Im selben Jahr wurde auch Anna Podkopeava mit dem Award als beste Libera ausgezeichnet. Auch sie ist dieses Jahr wieder mit dabei. Die Stars der Russinnen sind Nataliya Goncharova und Evgeniya Startseva.
Seit 2006 spielt Goncharova ohne Unterbruch mit Dynamo Moskau europäisch, seit 2011 ist die gebürtige Ukrainerin Teil des russischen Nationalteams. Zuspielerin Startseva ist spielt seit acht Jahren beim russischen Topteam Dynamo Kazan. Geleitet wird das Team neu von Headcoach Vadim Pankov.
Die Chancen der Schweiz gegen den überlegenen Gegner zu gewinnen sind sehr klein, so können die Spielerinnen von Timo Lippuner jedoch ohne Druck auflaufen und befreit aufspielen. Lippuner: «Für mich ist Russland klarer Gruppenfavorit und auch ein Medaillenfavorit. Die Russinnen sind auf allen Positionen hervorragend besetzt. Die Spielerinnen sind sehr gross gewachsen und bringen neben einer extremen Power auch viel Höhe am Netz mit. Auch gegen uns wird Russland keine Geschenke verteilen. Wir sind krasse Aussenseiter und wollen auf diesem Niveau viel lernen. In diesem Spiel werden wir jeden Punkt als Sieg feiern.»
Spanien (Dienstag, 27.08.2019, 17.30 Uhr)
Das spanische Nationalteam belegt im europäischen Ranking den 20. Platz. Die erneute Teilnahme an der Europameisterschaft war das wichtigste Saisonziel der Spanierinnen und daher ist Motivation des Teams besonders hoch.
Das Team stellt sich aus auffallend vielen jungen aber dennoch erfahrenen Spielerinnen zusammen. Geführt werden die spanischen Spielerinnen von Captain Helia Gonzales.
Sie spielt als Aussenangreiferin und ist bereits das vierte Mal an einer EM mit dabei. Trainiert wird das Team von Headcoach Pascual Saurin. Im Jahr 2013 startete er als Assistant Coach, arbeitete sich darauf hin zum Headcoach hoch und führt nun das Team zum dritten Mal in Folge als Cheftrainer an eine Europameisterschaft.
Lippuner: «Voraussichtlich wird sich Spanien mit der Slowakei um den vierten Platz duellieren. Besonders spannend ist diese Konstellation, da die beiden bereits im ersten Spiel aufeinandertreffen. Die Spanierinnen hätten auch das Potential, an Weissrussland vorbeizuziehen; an einem schwachen Tag sind jedoch auch fehleranfällig. Neben den erfahrenen Spielerinnen wie Segura und Rivero sind auch einige sehr talentierte junge Spielerinnen im Kader, zum Beispiel die 21-jährige Aussenangreiferin Ana Escamilla. Die Partie gegen Spanien wird unser viertes Spiel sein. Wenn wir eine Chance haben wollen weiterzukommen, müssen wir gegen Spanien punkten und deshalb eine hervorragende Teamleistung zeigen. Neben einer grossen Portion Wettkampfglück wird eine stabile Annahme und viel Cleverness im Angriff wichtig sein, um die Spanierinnen gefährden zu können.»
Weissrussland (Donnerstag, 29.08.2019, 18.00 Uhr)
Russlands Nachbar Weissrussland liegt auf Platz 12 des Europarankings. Ihre bisherige beste Leistung an Europameisterschaften hat Belarus im 2017 erreicht: das Team erzielte den siebten Rang.
Auch an der EM 2015 konnten die Weissrussinnen überzeugen – sie schlossen das Turnier auf Rang 9 ab. Auch dieses Jahr ist Volha Pauliukouskaya wieder Teil des Nationalteams.
Bereits 2009 hat die erfahrene Libera an den CEV European Championships teilgenommen. Angreiferin Hanna Hryshkevich muss auf die Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen verzichten.
An ihrer Stelle wird die Aussenangreiferin Alina Illiuta eingesetzt. Doch auch für sie ist EuroVolley kein Neuland.
Dieses Jahr wird sie ihre vierte CEV Europameisterschaft bestreiten. Piotr Khilko gab sein Debut als Headcoach an der EM 2017 und steht auch dieses Jahr wieder an der Seitenlinie der Weissrussinnen.
Lippuner: «Die Weissrussinnen sind hinter Russland und Deutschland nominell das drittstärkste Team der Gruppe. Allerdings können sie auch von Spanien oder sogar von der Slowakei gefährdet werden. Zwar steht aktuell keine weltbekannte Starspielerin in den Reihen Weissrusslands, ein grosser Teil des Teams spielt aber bei Minchanka Minsk im gleichen Verein. Ich erwarte deshalb ein sehr gut eingespieltes Team mit typisch traditionellem ‹russischen Spielsystem›: hoch und schlagkräftig über die Aussenpositionen und extrem schnell und präzise über die Mitte. Um sie in Gefahr zu bringen, müssen wir sehr stark aufschlagen. Da die Partie gegen Weissrussland das letzte Spiel ist, könnte davon für beide Teams sehr viel abhängen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass für eines der beiden oder sogar für beide Teams schon alles klar sein wird. Darum ist der Ausgang dieses Spiels schwierig abzuschätzen – wobei Weissrussland klarer Favorit gegen uns ist.»