Rosi Mittermaier: «Bin heute bei Siegerehrungen emotionaler»
Die «Gold-Rosi» hat einen fixen Platz in der deutschen Sporthistorie. Nun wird Rosi Mittermaier 70 Jahre alt. Ein Gespräch über famose Winterspiele, die Zeit danach, Kritik an sportpolitischen Entwicklungen und die schönsten Momente als Ski-Oma.
Das Wichtigste in Kürze
- Rosi Mittermaier ist eine der bekanntesten deutschen Wintersportlerinnen der Geschichte.
Den ewigen Status der «Gold-Rosi» eroberte die Oberbayerin bei Olympia 1976 in Innsbruck. Dabei war sie nur einen relativ kurzen Teil ihres Lebens aktive Skirennfahrerin.
Vor ihrem 70. Geburtstag am 5. August sprach Mittermaier mit der Deutschen Presse-Agentur über ihre Winterspiele, den damaligen Trubel mit Badewannen voll Blumen und einen «total narrischen» Briefträger, die ungebrochene Begeisterung fürs Skifahren und ihr soziales Engagement für Kinder gerade in der heutigen Zeit.
Frau Mittermaier, wie haben Sie die Corona-Zeit überstanden?
Rosi Mittermaier: Das war natürlich für jeden eine extreme neue Erfahrung. Wir - ich sage wir, weil über mich reden mag ich eigentlich gar nicht so gern - sind als Familie zum Glück in eine Gegend geboren, wo es erträglich war. Wir haben einen Garten, wir konnten raus gehen. Ich kann mir vorstellen, dass es in der Stadt im dritten Stock mit zwei Kindern sehr belastend ist. Aber man muss es nehmen, wie es kommt, die Regeln einhalten und das Beste draus machen.
Wie hat sich das Leben verändert in der Zeit?
Mittermaier: Irgendwie hat die Zeit alle noch mehr zusammengeschweisst. Man hat gemerkt, dass man nicht allein auf der Welt ist. Man ist weniger egoistisch und hilft einander. Man geht mit anderen Augen auf den Nachbarn zu; zumindest hier in Garmisch-Partenkirchen war das so.
Werden Sie generell oft auf der Strasse angesprochen?
Mittermaier: Ja, auf mich kommen viele Leute zu. Das ist sehr lustig und nett. Ich höre dann Geschichten von den Leuten, wo sie mich gesehen haben, wie sie mich als Skifahrerin und meine Rennen erlebt haben.
Ist zum 70. Geburtstag eine grosse Party geplant?
Mittermaier: Nein, ich bin gar nicht die Ober-Feiererin. Christian und ich hatten immer recht viele Verpflichtungen, wir waren viel unterwegs und konnten uns Gott sei Dank auch für viele karitative Projekten engagieren, besonders natürlich für unsere Kinderrheuma-Stiftung. Auch der Felix hat seine Stiftung, auch dafür engagieren wir uns natürlich gerne. Wir sind ein Familienbetrieb. Es ist schön, wenn man viele Freunde trifft, aber das muss nicht unbedingt am Geburtstag sein.
Trotzdem ist so ein Geburtstag immer Anlass für Erinnerungen. Wie oft denken Sie an Ihre Olympischen Spiele 1976 mit zweimal Gold?
Mittermaier: Nur wenn ich danach gefragt werde. Es kommt immer noch Post von Menschen, die ein Autogramm haben wollen oder ein spezielles Anliegen haben. Letztens schrieb einer, was er mir durch Innsbruck zu verdanken hatte: Er hatte zu jener Zeit in der Schule ganz schlechte Noten. Als Motivation versprach der Lehrer demjenigen Schüler ein Rosi-Mittermaier-Buch zur Belohnung, der sich um zwei Noten verbessert. Dieses Buch wollte er unbedingt haben, also hat er so fest gelernt, dass er in Englisch um zwei Noten besser geworden ist.
Gibt es eine besondere Erinnerung an 1976?
Mittermaier: So viele, da könnte man ganze Bücher schreiben. Ich kann kaum etwas rauspicken. Viele meinen, die erste Medaillenübergabe war besonders emotional. Aber ich war da so aufgeregt, dass ich das gar nicht richtig realisiert habe. Ich bin eh jemand, der immer denkt: Hoffentlich mache ich alles richtig. Und dann bin ich während der Spiele ständig irgendwo herumgereicht worden, überall gab es Empfänge für mich. Im olympischen Dorf habe ich Badewannen voll Blumen bekommen. Ich habe dann erst später realisiert, was da alles passiert war. Wenn ich heute andere Sportler in solchen Momenten wie bei einer Siegerehrung sehe, dann bin ich emotionaler als damals.
Wie ging es nach den Spielen mit der «Gold-Rosi» weiter?
Mittermaier: Als ich heimkam, haben wir die vielen Blumen an Krankenhäuser weitergegeben. Aber der ganze Trubel ging weiter. In meinem Elternhaus war ein ganzes Zimmer voll mit Post und Paketen. In einem Monat sind 27 000 Briefe gekommen, das hat uns der Postbote erzählt, der ist total narrisch geworden, weil er die ganze Flut rauf auf die Winklmoosalm bringen musste. Ich bin ja nach Olympia noch weiter Weltcup-Rennen in Amerika gefahren. Da war ich zwar etwas weg vom Schuss. Aber beim Besuch eines Footballspiels in San Francisco sah ich mich auf einmal riesengross auf der Leinwand und der Stadionsprecher fragte mich, welches Team denn gewinnen würde. Ich hatte keine Ahnung und sagte: Bayern München. Da war das ganze Stadion von den Socken.
Also haben sie wegen des Trubels just nach der Olympia-Saison aufgehört, im Alter von gerade mal 25 Jahren?
Mittermaier: Ja, das war so. Unkontrolliert wurde auf der ganzen Welt mit mir geworben, mein Kopf war auf irgendwelchen Bier- und Schnapsgläsern oder Kopfkissen! Ich dachte mir: So ein Kitsch, das ist ja unglaublich. Von Vermarktungsmöglichkeiten im Sport hatten wir auf der Winklmoos keine Ahnung. Wir waren ja keine professionellen Sportlerinnen, sondern einfach begeisterte Skifahrerinnen. Geld durften wir mit unserem Sport nicht verdienen. Diese Möglichkeit konnte ich mir also nur eröffnen, indem ich mit dem Rennsport aufhörte. Man soll ja möglichst am Höhepunkt aufhören, insofern war der richtige Zeitpunkt gekommen, auch wenn es mir extrem schwer fiel.
Wie war diese Zeit als junge Ski-«Rentnerin»?
Mittermaier: Das war höchst spannend und eine völlig neue Erfahrung. Als Sportlerin hatte ich sämtliche Skipisten kennengelernt, danach waren es auf einmal neue Städte und Länder und ein völlig neues Umfeld. In Japan war ich sehr oft, auch schon als 19-Jährige. Die Reisen dorthin haben mir besonders gefallen. Die Japaner sind sehr höflich, anständig und zurückhaltend, dort hatte ich nie das Gefühl, dass man mich total vereinnahmen wollte oder dass Du ihnen gehörst.
Hat es danach nicht oft gejuckt, wieder Rennen zu fahren?
Mittermaier: Ja, die ganze Zeit! Das Schlimmste für mich nach dem Aufhören war, dass meine Freunde aus dem Rennsport und mein gewohntes Team um mich herum weg waren. Ich war auf einmal mit fremden, älteren Menschen wie Firmenchefs auf Messen, in Sporthäusern oder wichtigen Kunden bei Abendessen. Und das weltweit. Ich war ja erst 25 Jahre alt und sehnte mich nach nichts mehr als nach meinem gewohnten Umfeld.
Aber es gab kein Comeback. Bereuen Sie das heute?
Mittermaier: Nein gar nicht. Ich durfte einen neuen Lebensbereich kennenlernen, der auch wichtig und spannend war. Ausserdem hatte ich das Glück, relativ unverletzt durch den Rennsport gekommen zu sein. Wenn man auch heute sieht, wie gefährlich dieser Sport ist, dann bin ich dankbar, keine Blessuren aus dem Rennsport mitgenommen zu haben.
War eine Trainerlaufbahn denkbar?
Mittermaier: Nein niemals. Dafür bin ich nicht geeignet, das ist ein harter Beruf für eine Frau, aus diesem Grund gibt es kaum Trainerinnen im Skirennsport. Ich wollte nicht früh am Morgen noch bei Dunkelheit Stangen auf den Hang hochschleppen und Läufe stecken. Ich hatte zwar die Skilehrerprüfung 1975 gemacht, mein Vater hatte ja eine Skischule. Aber das ganze Jahr wieder im gleichen Umfeld unterwegs zu sein, da hätte ich auch niemals eine Familie gründen können. Ich habe aber immer gerne Skikurse für Kinder gegeben, selbst als ich noch im Weltcup gefahren bin. Die Trainer meinten dann, um Gottes Willen, das geht doch nicht, ruh dich lieber aus. Aber an Weihnachten waren ja immer so viele Kinder bei uns in der Skischule - dann haben meine Schwestern und ich da Skiunterricht gegeben.
Später sind Sie viel als Sport-Botschafterin aufgetreten.
Mittermaier: Christian und ich haben uns immer gerne engagiert. Bei der WM 2011 zum Beispiel hier in Garmisch-Partenkirchen haben wir dafür gesorgt, dass wir über unsere WM-Münze Gelder für eine glanzvolle Eröffnungsfeier oder kulturelle Ausstellungen bekommen haben. Dadurch wurde diese WM ein besonders nachhaltiges und unvergessliches Ereignis für den Ort.
Ihr Sohn Felix Neureuther hatte 2019 die Karriere beendet. Schauen Sie seitdem weniger Skirennen im Fernsehen an?
Mittermaier: Nein. Ich kenne ja all die Freunde vom Felix, die kommen ja immer noch zu uns nach Hause, etwa der Ted Ligety oder der Julien Lizeroux. Die wohnen dann ja sogar bei uns. Die muss ich schon weiter verfolgen. Ich schaue einfach mit Begeisterung allen Sportlern zu, die haben mein Herz.
Sind Sie eine Fernseh- oder eine Vor-Ort-Zuschauerin?
Mittermaier: Live ist natürlich viel schöner. Bei Olympischen Spielen waren wir immer vor Ort. Das ist einfach toll und unvergesslich. Auch wenn mir die Entwicklung von Olympia nicht gefällt, für mich sind Olympische Spiele immer ein Highlight, für das ich mir immer gerne Zeit nehme und meinen Rhythmus danach richte.
Welche Entwicklung missfällt Ihnen?
Mittermaier: Erstens sollten strengere Linien gezogen werden: Doping geht gar nicht. Das gehört viel konsequenter bestraft. Wenn sich ein Land nicht an die Regeln des Fairplay hält, dann gehört es sanktioniert. Da bin ich enttäuscht vom IOC, dass es keine striktere Linie fährt. Und zweitens muss nicht immer alles noch grösser und gigantischer werden. Man sollte in meinen Augen eher reduzieren und Olympia nicht noch weiter aufblähen und für Veranstaltungsorte unbezahlbarer machen. Auch bei den Skirennen denke ich, dass die Fülle an Disziplinen und Wettkämpfen unüberschaubar geworden ist. Es wäre toll, wenn man sich mehr auf Highlights fokussieren könnte, die den Athletinnen und Athleten und den Zuschauern eine bessere und nachhaltigere Präsentation bieten.
Hat Ihnen diese Entwicklung die Freude am Skisport getrübt?
Mittermaier: Nein, das reine Skifahren ist für mich immer noch das Schönste, was es gibt und wo mir immer das Herz aufgehen wird.
Sie haben Ihre Kinder nie gedrängt, Karriere im Skisport zu machen oder sie gar ins Rampenlicht gezogen. Warum nicht?
Mittermaier: Dass Christian und ich Skirennfahrer waren, das haben sie gar nicht so mitgekriegt. Daheim stehen bei uns keine Pokale rum. Als kleiner Bub wurde der Felix mal von einem Reporter gefragt, ob denn seine Mama Medaillen habe. Er antwortete: Ja, hat sie. Dann wurde er gefragt, woher er das weiss. Felix sagte, das habe ihm ein Nachbar erzählt, der so ein Buch mit Bildern von der Mama und ihren Medaillen habe. Wir haben immer versucht, die Ameli und den Felix aus dem Trubel rauszuhalten, haben sie nie auf Veranstaltungen mitgenommen. Das war im Nachhinein schade, denn wir hätten sie eigentlich gerne öfter dabei gehabt. Das holen wir jetzt mit den Enkeln nach.
Wie sind die Skischwünge von Oma Mittermaier mit ihren Enkeln?
Mittermaier: Es ist das Schönste für mich, mit den Enkeln Ski zu fahren. Mei, wie die sich freuen, wenn sie zum Beispiel beim Skikurs auf dem Podest stehen dürfen und eine Medaille bekommen. Das wissen alle Eltern und Grosseltern, dass so ein Erlebnis tief ins Herz geht. Ein Mannschaftssport ist zwar schön, weil man zusammen gewinnt und verliert. Aber Skifahren ist das Schönste, weil man als Kind den Wind um die Nase spürt. Was für ein Naturgefühl!
Und wenn die Enkel dann auch Leistungssportler werden wollen?
Mittermaier: Das würden wir ihnen nicht verbieten. Wenn man einen Sport mit Freude und Talent betreiben darf, ist man schon privilegiert. Wir hatten in der Jugend dank des Skisports die Möglichkeit, mal nach Amerika oder Japan zu reisen. Das war damals etwas ganz Besonderes. Das Training und der Aufwand waren zwar anstrengend, aber vielleicht liegt gerade darin auch der Reiz, sich durchzusetzen und Ziele zu erreichen. Ich habe es nie als Aufwand betrachtet, für mich war es immer ein Spass. Man sollte Kinder gerade bei den heutigen Umständen zum Sport animieren, auch zum Hochleistungssport. Vernünftiger Sport und Bewegung im Kindesalter sind Garantien für ein gesundes Leben. Das darf man gerade heute in einer durch Computer und Smartphone immer bewegungsloseren Zeit nicht vergessen. Wenn man nur noch E-Sport macht, hat man irgendwann nur noch übergewichtige Kinder.
ZUR PERSON: Rosi Mittermaier aus Reit im Winkl war eine der besten Skirennfahrerinnen der 70er Jahre. Bei Olympia 1976 holte sie zweimal Gold und einmal Silber und wurde zum Star. Kurz danach aber beendete sie die Karriere. Die sozial engagierte Ex-Sportlerin ist verheiratet mit Christian Neureuther und Mutter von Felix Neureuther.