Wenn der Rotstift für den Kunden erfahrbar wird
Während Sparmassnahmen in der Produktion verborgen bleiben, gibt es andere, die der Endkunde direkt spürt. Erfahren Sie hier mehr.

Ein ADAC-Qualitätscheck an 580 Automodellen hat offengelegt, dass viele Hersteller im Innenraum bei Material und Verarbeitung sparen. Die Praxis ist mit dem aus der Lebensmittelindustrie bekannten Phänomen der «Skimpflation» vergleichbar, bei dem die Qualität von wertgebenden Zutaten reduziert wird, während der Preis stabil bleibt.
Diese sichtbaren Mängel sind ein Resultat einer grundlegenden Verschiebung im Wertverständnis der Hersteller: Sie sparen bei physischen Komponenten, die ein Gefühl von Luxus und Haptik vermitteln, und investieren stattdessen in digitale Elemente, um den Eindruck von Modernität zu schaffen.
Der Kunde erhält den Eindruck eines fortschrittlichen Produkts, während die materiellen Einsparungen an anderer Stelle weniger offensichtlich sind.
Ergonomie vs. Digitalisierung: Der Trend zu Touchscreens
Die Umstellung von physischen Knöpfen auf Touchscreens ist eine der auffälligsten Sparmassnahmen der Automobilhersteller. Die wirtschaftliche Motivation dahinter ist eindeutig: Ein zentraler Bildschirm ersetzt eine Vielzahl von teuren, individuell entwickelten und gelagerten Knöpfen, Schaltern und Drehreglern.

Diese Vereinfachung spart nicht nur Design- und Entwicklungskosten, sondern auch erhebliche Herstellungskosten pro Fahrzeug. Die negativen Folgen für den Kunden sind jedoch gravierend. Studien zeigen, dass die Bedienung von Touchscreens im Auto die Reaktionszeit um 57 Prozent verlängert.
Im Gegensatz zu einem physischen Knopf, der durch taktiles Feedback erfühlt werden kann, erfordert die Nutzung eines Bildschirms eine Blickabwendung von der Strasse, was ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt.
Reduktion von Komfort- und Funktionsmerkmalen
Der Rotstift wird auch bei scheinbar kleinen, aber wichtigen Details angesetzt. So verzichten einige Hersteller aus Kostengründen auf Heckscheibenwischer bei bestimmten Modellen.

Eine weitere, für den Kunden spürbare Sparmassnahme ist das Weglassen von Motorhauben-Dämmmatten, die ursprünglich dazu dienten, die Geräuschkulisse im Innenraum zu minimieren.
Negative Auswirkungen auf Langlebigkeit und Zuverlässigkeit
Moderne Fahrzeuge sind aufgrund ihrer komplexen Elektronik und Assistenzsysteme zunehmend anfälliger für kostspielige Reparaturen. Die durchschnittlichen Reparaturkosten sind auf ein Rekordhoch von über 700 Euro gestiegen, was vor allem auf die hohen Kosten für Ersatzteile wie Sensoren und Steuergeräte zurückzuführen ist.
Ein zentraler Kritikpunkt an den Sparmassnahmen ist der Konflikt zwischen Effizienz und Haltbarkeit, der sich insbesondere bei Downsizing-Motoren zeigt. Während moderne Motoren tendenziell langlebiger geworden sind, können Sparmassnahmen und aggressive technische Auslegungen zu spezifischen, teuren Problemen führen.

Beispiele hierfür sind Steuerkettendefekte oder das «Low-Speed Pre-Ignition» (LSPI) Phänomen, auch bekannt als «Mega Knocking». Diese Phänomene treten vor allem bei Motoren mit geringerem Hubraum und hoher Leistungsdichte auf und können zu einem kapitalen Motorschaden führen, der für den Fahrer nicht zu verhindern ist.
Konkrete negative Beispiele
Mercedes C-Klasse: Die ADAC-Tester kritisieren, dass beim neuen Modell Armaturenbrett und Türverkleidungen nur noch im oberen Bereich mit geschäumtem Kunststoff verkleidet sind.
Im Gegensatz dazu bestand das Vorgängermodell noch vollständig aus weichem Kunststoff. In den nun harten Ablagen der Neuauflage rutscht Kleinkram geräuschvoll hin und her.

Audi A3 und VW Golf: Auch diese Modelle werden ihrem Premiumanspruch in Bezug auf die Materialqualität nicht mehr gerecht. Der A3 und der technisch ähnliche Golf mussten Kritik wegen der Qualität der verwendeten Materialien einstecken.
US-Markt noch stärker betroffen
Toyota Aygo X: Als Beispiel für den hohen Kostendruck in preissensiblen Klassen wird der Micro-Crossover Aygo X genannt. Sein Innenraum weist viel lackiertes Blech und kratzempfindlichen Kunststoff auf, was im Vergleich zum günstigeren Vorgängermodell keinen Fortschritt darstellt.
Autos, die primär für den weniger anspruchsvollen US-Markt konzipiert wurden, wie der Honda CR-V, Ford Mustang oder Tesla Model 3, weisen laut ADAC-Testern generell eine überschaubare Interieur-Qualität auf.
Grund ist eine grundlegende Verschiebung im Wertverständnis der Hersteller: Sie sparen bei physischen Komponenten, die ein Gefühl von Luxus und Haptik vermitteln, und investieren stattdessen in digitale Elemente, um den Eindruck von Modernität und Wert zu schaffen.