Zu aufreizend? Aufruhr um Kleidervorschriften an Berner Berufsschule

Welches Outfit ist zu gewagt für die Schule? Das Lehrpersonal weist Schülerinnen zurecht. Diese fühlen sich schikaniert. Nau.ch liefert drei Beispiele.

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Das «T-Shirt der Schande», wie es von der Schülerschaft umgetauft wurde. Hier aus Protest von einer Schülerin bauchfrei getragen. Nach den Protesten in der Romandie kocht das Thema Kleideror - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Zu aufreizend? Kleiderordnungen an Schulen sorgten im Oktober für hitzige Diskussionen.
  • Die verpönten XXL-Shirts wurden daraufhin in der Romandie verboten.
  • Schülerinnen im Kanton Bern fühlen sich wegen der Kleiderordnung diskriminiert.

Oktober 2020. Genfer Schülerinnen und Schüler demonstrierten gegen den aus ihrer Sicht «sexistischen» Dresscode an Sekundar- und Mittelschulen.

Bauch- und schulterfreie Kleidungsstücke sind verboten. Wer sich nicht daran hält, muss sich ein XXL-Shirt, laut den Schülerinnen das «T-Shirt der Schande», überstülpen.

T-Shirt der Schande
T-Shirt der Schande: Genfer Schülerinnen wehren sich gegen die Kleidervorschrift. - Keystone

Der Kanton Waadt schafft daraufhin übergrosse Kleidungsstücke ab. Und auch Genf verzichtet auf die Praxis.

Ganz anders im Kanton Bern: Frisch Ausgebildete des Gesundheitsbereiches an Berner Berufsschulen wehren sich heute gegen die bestehenden Vorschriften. Die Schülerinnen fühlen sich durch die strengen Kleiderordnungen schikaniert.

«Provozierende» Mode ist ein Tabu

Drei ehemalige Schülerinnen haben im letzten Sommer ihre Ausbildung am Berufs- und Weiterbildungszentrum Lyss (BWZ) abgeschlossen. Währenddessen haben sie Überbetriebliche Kurse (ÜK) an der OdA Gesundheit Bern absolviert.

An beiden Orten sorgten ihre Outfits für teils heftige Reaktionen: Schülerin Mia* (heute 19) trug an einem Sommertag einen Einteiler mit kurzen Hosenbeinen. Ihre Lehrerin wies sie vor der ganzen Klasse zurecht. Der Einteiler sei zu betonend, zu kurz und zu aufreizend.

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Mia* wurde wegen ihres Einteilers von ihrer Lehrerin zurechtgewiesen. Das Kleidungsstück sei zu aufreizend, so das Argument. - zVg

Am ÜK stellten die Kleider der damals minderjährigen Schülerin ebenfalls ein Problem dar. So bekam Mia wegen eines am Bauch knappen Oberteils sogar einen Eintrag. Und auch noch einen Verweis dazu.

Das Kleidungsstück sei viel zu freizügig, hiess es auch hier. Der Schülerin wurde mit weiteren Konsequenzen gedroht, sollte sie am nächsten Kurstag wieder gegen die Kleiderordnung verstossen.

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Wegen dieses Oberteils bekam Mia* einen Verweis beim ÜK. - zVg

Auch Emma* berichtet über Beanstandungen wegen ihres Outfits an der BWZ Lyss. Ihr T-Shirt sei zu durchsichtig, befand die Lehrerin. Ausserdem störte sie sich an einem sichtbaren BH-Träger. Der Vorwurf: Kleidung dieser Art sei unprofessionell und lenke ab.

Finden Sie die Outfits von Schülerin Mia zu aufreizend?

An der OdA wurden Schülerinnen wegen eines zu tiefen Ausschnitts zum Umziehen nach Hause geschickt. Oder in einen Laden verwiesen, um sich ein anderes Shirt zu kaufen.

Schulen haben Regelwerk verfasst

Ganz überraschend sind die Kleidervorschriften für die Schülerinnen nicht. In der Wegleitung der BWZ Lyss steht: «Zu freizügige oder provozierende Mode, wie zum Beispiel bauchfrei, zu freizügige Ober- und Unterbekleidung sowie Kleidung mit verletzenden oder gewaltverherrlichenden Darstellungen sind nicht erlaubt.»

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An der BWZ Lyss ist zu kurze Kleidung verboten. (Symbolbild) - Pixabay

Das Thema Kleiderordnung wurde offenbar schon einige Male bei Konferenzen mit Lehrpersonen und Schülerschaft angesprochen. Laut den Schülerinnen habe man jedoch vonseiten der Schule keine Anstrengungen gemacht, diese zu überdenken.

Ist das wirklich so? Die BWZ Lyss wollte sich trotz mehrmaliger Anfragen von Nau.ch nicht äussern, verwies auf die Bildungsdirektion des Kantons Bern.

Im Vorfeld des ÜK habe auch die OdA auf die Kleidervorgaben hingewiesen, so die Schülerinnen. In einem Merkblatt wird auf das Verbot von tief ausgeschnittener oder transparenter Oberkleidung, knappen Shorts, Jupes und Röcken hingewiesen.

Wer gegen die Kleiderordnung verstosse, werde «dazu angehalten, die Kleidungsstücke zu Hause zu holen oder kaufen zu gehen».

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Die OdA stellt den Kursteilnehmenden eigene T-Shirts zur Verfügung. - zVg

OdA-Geschäftsführer André Pfanner-Meyer rechtfertigt die Kleidervorgaben mit dem speziellen Kursbetrieb bei Pflege- und Betreuungspersonal. Im ÜK würden pflegerische Praxissituationen simuliert respektive eingeübt.

Er sei somit «nicht vergleichbar mit einem Kursbetrieb, an welchem die Kursteilnehmenden lange Zeit am Kurstisch sitzen und Theorie vermittelt erhalten».

Seit das Bildungszentrum T-Shirts zur Verfügung stelle, sei der Umgang mit den Kleidern einfacher geworden, ist Pfanner-Meyer überzeugt.

Auch in Bern: XXL-T-Shirts für unpassende Kleidung

Die aus Genf bekannten T-Shirts in Übergrösse sind auch der Berner Berufsfachschule für medizinische Assistenzberufe (be-med) nicht fremd. So steht im Reglement: «Bei Nichteinhalten der Kleiderordnung werden XXL-T-Shirts gegen eine Gebühr von CHF 10.- von der Schule abgegeben.»

Christoph Haenssler, Rektor der be-med, bestätigt die Massnahme: Diese käme zum Zuge, wenn die Lernenden etwa ihre Berufskleidung für den ÜK vergessen. «Seit Januar ist mir nur ein Fall bekannt, bei dem diese Massnahme ergriffen werden musste», so Haenssler.

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An der be-med können bei unangemessener Kleidung XXL-T-Shirts verteilt werden. - Google Maps

Die Lernenden stören sich auch an den schwammig formulierten Kleidervorschriften. Die Lehrpersonen würden diese nach ihrem Gusto interpretieren.

Be-med-Rektor Haenssler sieht dies anders: «Für die ganz grosse Mehrheit unserer Lernenden ist klar, was angemessene Kleidung bedeutet.» Man habe die Vorgaben bewusst so formuliert, «da sich die Regeln des guten Geschmacks auch verändern».

Bildungsdirektion Bern: Schulen sollen auf Kleiderordnungen verzichten

Die Schülerinnen fühlen sich durch die Kleiderordnungen auch sexualisiert. Man gebe ihnen so das Gefühl, dass sie durch ein Stück Stoff definiert würden.

Ihre Appelle richten sich auch an den Kanton. Die Schülerinnen wünschen sich mehr Schutz und die Abschaffung solcher Regeln und Strafen.

Die Bildungs- und Kulturdirektion (BDK) Bern zeigt sich zurückhaltend: Man lege «Wert darauf, dass die Schulen diese Thematik mit der nötigen Sensibilität handhaben». Allerdings empfehle man den Schulen, auf Dresscodes zu verzichten.

Als Leitlinie dafür gelte das Positionspapier des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) von 2016, wonach Kleidervorschriften nicht notwendig sind:

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Gemäss dem Positionspapier haben rigorose Kleidervorschriften aus juristischer Sicht einen schweren Stand. - LCH

Ob die Berufsschulen trotzdem weiterhin an den Kleiderordnungen festhalten, bleibt offen. Das XXL-Shirt hat jedoch endgültig ausgedient.

So kündet be-med-Rektor Haenssler an, die Shirts ab August mit «weissen Schürzen» oder «Arbeitskleidung» wie in Arztpraxen zu ersetzen, oder gar eine ganz andere Lösung einführen.

* Namen geändert

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