Der Ständerat will den Bau neuer AKW in der Schweiz prüfen lassen. Neue Anlagen könnten «potenziell sehr teuer werden», erklärt ein Experte.
AKW Schweiz Versorgungssicherheit Kernkraft
Der Bundesrat soll prüfen, wie der sichere Weiterbetrieb der Schweizer AKW gewährleistet werden könnte und ob allenfalls auch der Zubau neuer AKW sinnvoll wäre. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Ständerat will von der Landesregierung den Bau neuer AKW in der Schweiz prüfen lassen.
  • Christian Schaffner von der ETH ist überzeugt: Der Bau neuer AKW könnte sehr teuer werden.
  • Ohnehin könne die Eidgenossenschaft Netto-Null bis 2050 auch ohne Kernkraft erreichen.
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Der Ständerat rüttelt am Atomausstieg – am Mittwoch hat die kleine Parlamentskammer einem Postulat von FDP-Präsident Thierry Burkart zugestimmt: Der Vorstoss verlangt, dass der Bundesrat aufzeigt, wie der sichere Weiterbetrieb der bestehenden Schweizer AKW gewährleistet werden könnte.

Daneben soll die Landesregierung darlegen, welche Kapazitäten in der Schweiz zugebaut werden müssten, um die Versorgungssicherheit zu erhalten: dies mit Blick auf die bevorstehende Abschaltung der bestehenden Kernkraftwerke und unter Einbezug sämtlicher Technologien – nötigenfalls auch neuer Kernkraftwerke.

Kostenschätzung beim Bau von Kernkraftwerken schwierig

Doch braucht die Schweiz neue Kernkraftwerke – und können dieselben innert nützlicher Frist und zu annehmbaren Preisen zugebaut werden? Nau.ch hat Christian Schaffner, den Vorsitzenden des «Energy Science Center» (ESC) der ETH Zürich, um eine Einschätzung gebeten.

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Christian Schaffner ist Leiter des «Energy Science Center» an der ETH Zürich. - keystone

«Eingangs muss man anmerken, dass sich die Schätzung der Kosten für den Bau neuer Kernkraftwerke schwierig gestaltet», erklärt Schaffner. Prinzipiell müsse man aber von einer eher negativen «Learning Rate» ausgehen. Konkret bedeute dies, dass sich die Produktionskosten von Kernkraftwerken auch mit wachsender Anzahl Bauprojekte nur minim verkleinern. Überdies würde es wohl sehr lange dauern, bis ein neues Kernkraftwerk am Netz wäre.

Dies hänge in erster Linie damit zusammen, dass grosse Anlagen immer als Massanfertigungen zu verstehen seien: «Es gibt keinen Kernreaktor ‹von der Stange› – entsprechend braucht es für einen Neubau zahlreiche Experten mit viel Know-how.» Diese Experten aber seien gegenwärtig Mangelware, was die Preise und auch die Bauzeiten in die Höhe treibe.

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Der Bundesrat soll prüfen, wie der sichere Weiterbetrieb der Schweizer AKW gewährleistet werden könnte und ob allenfalls auch der Zubau neuer AKW sinnvoll wäre. (Symbolbild)
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Die Produktionskosten von Kernkraftwerken verringern sich auch mit wachsender Anzahl Bauprojekte nur minim: Denn grosse Anlagen sind immer Massanfertigungen. (Symbolbild)
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Entsprechend brauche es für einen Neubau zahlreiche Experten mit viel Know-how. Diese aber seien gegenwärtig Mangelware, was die Preise in die Höhe treibe. (Symbolbild)
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Folglich bestehen beim Bau neuer Kernkraftwerke derzeit also grosse wirtschaftliche Unsicherheiten, erklärt der Experte: Deshalb könne ein Neubau potenziell sehr teuer werden. (Symbolbild)
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Grundsätzlich brauche die Schweiz zur Erreichung von Netto-Null bis 2050 keine neuen Kernkraftwerke, erklärt der Experte. (Symbolbild)
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Mit einem konsequenten Zubau der Fotovoltaik- und Wasserkraftanlagen könne diese Strommenge auch ohne neue Kernkraftwerke bereitgestellt werden. (Symbolbild)

Kleinere Anlagen – sogenannte Small Modular Reactors (SMR) – könnten dieses Problem umschiffen: Die Hauptkomponenten werden in einer zentralen Anlage gefertigt und dann an die unterschiedlichen Standorte transportiert. Auf diese Weise kann ein Grossteil der Fertigungsausrüstung wiederverwendet werden. Doch günstige und effiziente Technologien dieser Gattung existierten derzeit noch nicht, so Schaffner.

Massenproduktion als Klumpenrisiko

Alternativ könnten die Preise auch dadurch verringert werden, dass mehrere grosse Anlagen nach ein und demselben Bauplan errichtet werden: «Damit entsteht allerdings ein Klumpenrisiko – allfällige Konstruktionsfehler würden dann gleich in allen Anlagen eingebaut.»

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In Frankreich mussten an 26 von 56 Kernreaktoren Unterhaltsarbeiten durchgeführt werden: Die nukleare Stromproduktion fiel in der Folge auf einen dreissigjährigen Tiefststand. (Symbolbild) - keystone

Genau das sei jüngst in Frankreich passiert, weshalb an 26 von 56 Reaktoren gleichzeitig Unterhaltsarbeiten durchgeführt werden mussten. In der Folge fiel die nukleare Stromproduktion in unserem Nachbarland auf einen dreissigjährigen Tiefststand.

«Potenziell sehr teuer»

Grundsätzlich bestehen beim Bau neuer Kernkraftwerke derzeit also grosse wirtschaftliche Unsicherheiten, erklärt Schaffner: «Deshalb braucht es für allfällige Investoren meist Garantien – diese wiederum kommen aufgrund ihrer schieren Grösse meistens vom Staat. Unter dem Strich kann der Bau neuer Kernkraftwerke also potenziell sehr teuer werden und ausgesprochen lange dauern.»

Überdies gibt Schaffner zu bedenken: «Grundsätzlich braucht die Schweiz zur Erreichung von Netto-Null bis 2050 keine neuen Kernkraftwerke.» Durch die fortschreitende Elektrifizierung des Strassenverkehrs und der Heizungen müssten hierzulande bis 2050 rund 80 bis 90 Terawattstunden Strom bereitstehen. «Das ist deutlich mehr als die gegenwärtigen 60 Terawattstunden – aber nicht alle Welt.»

Würden Sie den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz begrüssen?

Mit einem konsequenten Zubau insbesondere im Bereich der Fotovoltaik könne diese Strommenge also auch ohne neue Kernkraftwerke bereitgestellt werden. «Ohne zusätzliche Subventionen im grossen Stil», erklärt der Experte. Gleichzeitig gibt Schaffner zu bedenken: «Auch diese Anlagen müssen zuerst gebaut werden – überdies muss eine effiziente Anbindung an den europäischen Strommarkt weiterhin gewährleistet werden.»

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