Warum der neue Fahrplan immer noch in Handarbeit entsteht

Der neue Fahrplan wurde bis ins Detail von 120 Mitarbeitenden der SBB ausgeknobelt. In den kommenden Jahren wird Künstliche Intelligenz dabei helfen.

Pendler aufgepasst: Am Sonntag gibt es einige Anpassungen am Fahrplan in der gesamten Schweiz. Bild: Flickr/Ingolf - Community

Das Wichtigste in Kürze

  • Den Schweizer ÖV-Fahrplan knobeln jedes Jahr 120 Mitarbeitende der SBB aus.
  • Künstliche Intelligenz könnte diese Arbeit erleichtern. Das Problem sind aber die vielen Ausnahmen und Sonderfälle.
  • Ab nächstem Jahr wird Künstliche Intelligenz erstmals beim Erstellen eines Schweizer Fahrplans helfen.

Eine neue Verbindung von Biel nach Belfort oder kürzere Fahrzeiten zwischen Romanshorn und Zürich: Die Optimierungen und Veränderungen im neuen ÖV-Fahrplan am 9. Dezember sind das Resultat von reiner Handarbeit. Jeweils rund 120 SBB-Mitarbeitende feilen während Monaten am neuen Fahrplan. Doch die Planer stossen langsam an ihre Grenzen, weil ihre Arbeit immer komplexer wird. Denn immer mehr Menschen und Güter müssen von immer mehr Zügen durch die Schweiz transportiert werden, während gleichzeitig Bauarbeiten, Betriebsstörungen oder Softwareprobleme den Betrieb erschweren.

Erfahrung der Mitarbeitenden

Die gegenwärtigen Computersysteme der SBB helfen den Fahrplanern kaum beim Erkennen und Lösen von Fahrplan-Konflikten. «Das System beruht vollständig auf der Erfahrung unserer Mitarbeitenden», sagt Stefan Füglistaller, Leiter Pünktlichkeit und Fahrplanstabilität der SBB, «sie müssen abwägen, ob Umsteigezeiten genügen, oder welche Anschlüsse die Passagiere erreichen können». Zwar gibt es dabei Regeln – ganze 700 muss ein Fahrplaner kennen – aber diese sind bewusst unscharf formuliert und verhandelbar. «Diese Flexibilität erlaubt uns, dichter zu planen, als das mit einer strikten Regelauslegung der Fall wäre», sagt Füglistaller.

Diese Schweizer Eigenart der Fahrplanung macht eine Automatisierung schwierig. Denn Computer haben gerne klare Regeln und tun sich schwer mit Flexibilität. Eine vollständige Automatisierung des Fahrplans wird es in der Schweiz in nächster Zeit also noch nicht geben. Doch Teilbereiche könnten bereits nächstes Jahr von Künstlicher Intelligenz profitieren. Im August dieses Jahres schrieben die SBB auf der Crowdsourcing-Plattform CrowdAI einen Wettbewerb aus, um intelligente Algorithmen für die Fahrplanung zu finden. Dabei geht es nicht darum, den gesamten Fahrplan automatisch zu erstellen. Vielmehr suchen die Planer konkrete Lösungen für realistische Probleme: Wie verkehrt ein Zug pünktlich, obschon die Fahrt durch eine Baustelle erschwert wird? Oder wie erwischen die Passagiere ihren Anschluss trotz einer Verspätung?

Zeitfenster wie bei Flugplänen

Für den Wettbewerb stellte die SBB daher konkrete Szenarien auf, die ein Algorithmus unbedingt beherrschen muss. Zum Beispiel, dass die Passagiere einer bestimmten Linie einen gewissen Anschluss nicht verpassen dürfen. So können die Algorithmen berechnen, wie möglichst viele Passagiere optimale Verbindungen erhalten.

Damit die dafür erforderliche Flexibilität überhaupt möglich ist, werden die Fahrpläne der Zukunft wohl ein bisschen anders aussehen als heute. Wie im Flugverkehr üblich erhalten die Züge von den Fahrplanern Zeitfenster, innerhalb deren sie sich flexibel bewegen können. Der Algorithmus berechnet dann die Details. Für die Passagiere wird sich dabei nichts ändern: Der Fahrplan auf den blauen Anzeigetafeln wird immer noch gleich aussehen. Doch im Hintergrund wird alles anders. Für die Fahrplaner bedeutet das einen Kulturwandel: «Heute sind wir es gewohnt, extrem präzise und detailliert zu arbeiten», sagt Stefan Füglistaller, «in Zukunft übernimmt das der Algorithmus». Nervös ist er deswegen nicht, dafür hat er zu viel Erfahrung. Und Erfahrung ist nach wie vor die wichtigste Zutat für einen erfolgreichen Fahrplan.