Scharfe Kritik an geplanter Entlassung einer ETH-Professorin

Nachdem in der vergangenen Woche bekannt geworden war, dass die ETH-Zürich eine Professorin entlassen will, weil sie sich gegenüber Doktorierenden unkorrekt verhalten hat, äussert ein Physikprofessor

Verwaltung (Symbolbild) - Der Bundesrat

Auch die Betroffene selbst nimmt in einem Interview Stellung.

Von Führungsmängeln an der Hochschule, Sexismus und Korruption spricht ETH-Physikprofessorin Ursula Keller, in einem Interview mit dem Onlinemagazin «Republik». Es habe zu viele Ungereimtheiten gegeben, als dass man ihre Kollegin mit gutem Gewissen entlassen könnte.

Im Schweizerischen Rechtsstaat hätten Beschuldigte als unschuldig zu gelten, solange ihnen keine Verfehlung zweifelsfrei nachgewiesen sei. Die gegen Marcella Carollo erhobenen Vorwürfe seien nie mit der gebotenen Sorgfalt überprüft worden. Deshalb könne niemand sagen, ob die Professorin oder die Doktoranden die Wahrheit sagten.

«Ich bin die heutige Anna Göldi»

Auch Carollo selbst betonte in einem Interview mit der «Weltwoche», die ETH habe nie gesagt, welches unangemessene Benehmen sie ihr vorwerfe. Den in den Medien erhobenen Vorwurf des Mobbings weist sie zurück. Sie sei nie beleidigend gewesen. Sie habe nur sichergestellt, dass die Doktoranden ihr maximales Potenzial erreichten.

«Ich bat meine Studenten, eine Stunde täglich zu lesen, benutzte aber niemals eine unangemessene Sprache und sprach schon gar nicht von irgendwelchen Gehirngrössen. Die Kampagne gegen mich, das ist Mobbing», sagte sie in dem Interview.

Sie sei mit den Vorwürfen nie richtig konfrontiert worden. Alles sei geheim gehalten worden. «Lasst uns ein faires Verfahren führen, bitte. Das ist der Grund, warum ich meine Situation mit der letzten Hexe vergleiche: Ich bin die heutige Anna Göldi,» sagte Carollo.

«Als Frau im Haifischbecken»

Mit einem männlichen Professor wäre man anders umgesprungen, wie Keller sagt. Man hätte aufgrund schwammiger Vorwürfe einen Professor nicht sofort belastet. Wahrscheinlich hätte man einen männlichen Kollegen im Physikdepartement sogar reingewaschen, wenn er nachweisbar schuldig gewesen wäre, vermutet Keller. Als Frau sei man im Physikdepartement in einem Haifischbecken.

Der Hochschule wirft sie gravierende Führungsmängel vor und fordert eine klare Trennung von Kompetenzen. Die ETH werde von inoffiziellen Koalitionen gelenkt, die sämtliche Macht auf sich vereinigten. Im Moment sei es leider noch so, dass ein innerer Kreis von Professoren entscheide, der ein bisschen gleicher als die anderen seien.

«Im Grunde spreche ich von Korruption», sagte Keller. Wenn der ETH-Rat der beantragten Entlassung zustimme, fordere sie eine parlamentarische Untersuchung.

Aus juristischer Sicht nicht gerechtfertigt

Die Schulleitung hat beim ETH-Rat die Entlassung der Professorin am ehemaligen Institut für Astronomie beantragt. Nach Vorwürfen über ungenügendes Führungsverhalten hatte eine Administrativuntersuchung die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses empfohlen.

Die Kündigung eines Professors oder einer Professorin ist jedoch nicht einfach. Die Professorenverordnung sieht vor, dass zunächst eine Kommission die Angemessenheit der Kündigung prüft. Den Entscheid, ob beim ETH-Rat ein Antrag auf Entlassung eingereicht wird, trifft dann der ETH-Präsident gemeinsam mit der Schulleitung.

Die Kommission befand, dass eine Entlassung aus juristischer Sicht eher nicht gerechtfertigt sei. Die Professorin sei erst spät verwarnt worden und habe daher keine Möglichkeit gehabt, ihr Verhalten anzupassen.

Trotzdem plant die ETH die Entlassung. Die Professorin zeige keine Einsicht, dass sie sich unkorrekt verhalten habe. Weil die Schulleitung also keine Aussicht auf Besserung erkenne, sehe sie die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gegeben, gab die Hochschule in der vergangenen Woche bekannt.